Es ist nie zu spät

Henze: Das Floß der Medusa an der Komischen Oper Berlin

Opernwelt - Logo

Der Chor schwimmt, und das vorzüglich. Gewöhnlich ein Handikap von Laienvereinigungen, erweist sich die Tätigkeit hier als Kompetenzzuwachs von Profis, denn die Mitglieder gleich dreier Chöre singen nicht nur sitzend am Ufer des riesigen Bassins, das in den Hangar 1 des Flughafens Tempelhof gesetzt wurde, sie harren nicht nur schiffbrüchig auf einem Floß aus, sondern sie müssen tatsächlich ins Wasser – ins Meer, das fast alle verschlingt, die sich 1816 an Bord der französischen Fregatte «Méduse» befanden.

In die Boote gerettet hatten sich damals nur die «Epauletten und Federhüte», also die Nomenklatura, während die 150-köpfige Mannschaft, darunter auch Frauen und Kinder, auf ein schnell gezimmertes Floß verfrachtet wurde. Zwei Wochen waren sie Hitze, Durst und Wahnsinn ausgeliefert – eine starke Metapher der Klassenherrschaft, die sich Hans Werner Henze, als Dramatiker äußerst instinktsicher, nicht entgehen ließ. Ob Théodore Géricault 1819 mit seinem berühmten, epochalen Gemälde die gleiche Anklage erheben wollte, ist ungewiss. Und auch nicht wichtig. Henze und sein Librettist Ernst Schnabel wollten es 1968, und es war unvermeidlich, dass sie dabei – wie fast alle ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt November 2023
Rubrik: Panorama, Seite 58
von Volker Tarnow

Weitere Beiträge
Stimmenwunder

Eine Sprossenwand gibt es, ein paar Turnmatten, Ringe und einen Boxsack. Doch ins Schwitzen gerät nur die stumme Statisterie mit gut definierten Astralkörpern und knappsitzenden Trainingshosen. Die eigentlichen Protagonisten tragen gern helle Sommeranzüge. Pro forma riskiert man ein paar Übungen in der Gymnastikhalle. Das passt zum Stücktitel, der mit «L’Olimpiade»...

O großer Berg!

Im Oktober 1904 unterzeichnete General Lothar von Trotha in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika einen Vernichtungsbefehl gegen das Volk der Herero. Er ließ sie in die Wüste treiben, wo viele verdursteten. Wer in die alte Heimat zurückkehrte, wurde von den kaiserlichen Truppen erschossen oder in Konzentrationslagern interniert. Mehr als 100 Jahre später leben im...

«Ich mache es auf meine Weise»

Frau Byström, es gibt im Schwedischen ein Wort, dass die Fähigkeit zum lösungsorientierten Kompromiss zu beschreiben scheint – «lagom». Da es keine Entsprechung im Deutschen gibt, sind Sie so lieb und erläutern den Begriff?
(lacht) Ach, das ist viel einfacher, als Sie denken. «Lagom», das bedeutet eigentlich nur «nicht zu viel, nicht zu wenig» oder «in der Mitte»....