Ein Held der Selfie-Zeit
Ein falscher Fuffziger, dieser Siegfried. Zwar erklärt er, «ihrem Manne gehorchte Brünnhild eine volle bräutliche Nacht», doch als Gutrune eifersüchtig zu bedenken gibt, dass er ja selbst in Gestalt dieses Mannes Gunther um die Walküre geworben hatte, antwortet er kryptisch: «So nah – war Brünnhild ihm fern». Banal gesagt: «Okay, Honey, ich hab mit ihr geschlafen – aber dabei nur an dich gedacht.» Wer’s glaubt, wird selig.
Auch Uwe Eric Laufenberg, in seiner Inszenierung der «Götterdämmerung» in Linz, glaubt nicht an Siegfrieds Aussagen.
«Nun, Nothung, zeuge du, dass ich in Züchten warb. / Die Treue wahrend dem Bruder, trenne mich von seiner Braut»: Bloß ein zynisches Lippenbekenntnis. Denn bei Laufenberg knöpft der rabiate Held und Täuscher sich am Schluss des ersten Aufzugs den Hosenschlitz auf und macht sich brutal über die in Ohnmacht Gefallene her, seine – immerhin bekleidete – Kehrseite zum düsteren h-Moll keck auf und ab bewegend, ins Blackout hinein. Was wohl als Provokation gemeint war, wirkt wie eine Karikatur.
Immerhin passt das alles gut zum Bild, das Laufenberg bereits in «Siegfried» vom Titelhelden entworfen hatte – das eines eiskalten Jungunternehmers unserer ...
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Opernwelt April 2015
Rubrik: Panorama, Seite 40
von Gerhard Persché
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