Die Last der Lust

In Amsterdam schickt William Kentridge Lulu durch collagierte Räume, in München steckt Dmitri Tcherniakov sie in ein gläsernes Labyrinth. Kirill Petrenko bringt den vertikalen Aufriss der Partitur zum Klingen, Lothar Zagrosek legt ihre formalen Strategien offen. Ein Vergleich

Opernwelt - Logo

Man kann auf eine sehr heutige Art gestrig sein. William Kent­ridge stopft in Amsterdam die gute alte «Lulu» mit vielem voll, was aktuelle Videotechnik hergibt. Er schickt Bergs Luft- und Liebesgymnastikerin durch vagierende Räume aus Bewegung und Licht. Mal überziehen Zeitungsschnipsel die breite Bühne, mal Spruchbänder mit Zitaten und Kommentaren. Mal spritzt schwarze Tinte hintersinnige Formen, mal lugen holzschnitthaft breitflächige Köpfe aus dem Gewusel.

Im wahrsten Sinn des Wortes greifbar wird der Bilderreigen allerdings auch: Lulus Porträt erscheint nur in kleine Zettelchen zerfetzt, die an ihrem Kostüm kleben: Busen, Hintern und mehr. Eine Kopfmaske hat sie auch, die ist aus Pappe und wandert als Schlüsselrequisit durch den Abend. Für Kentridge kommt Kunst von Collage, sie hat mit körperhaftem Erleben zu tun, mit Mixturen, die sich als Ereignisräume verstehen. Zur «Lulu» passt das insofern, als das Stück, das – als Oper – eine lange Inkubationszeit hatte, die Roaring Twenties spiegelt. Es ist szenisch aus dem Geist von Dada denkbar. Schwitters kann mitspielen. Auch der protokollierende Zynismus von George Grosz und die verfremdende Ausdruckswut von Georges Braque. Das ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Juli 2015
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Stephan Mösch

Weitere Beiträge
Feuerzauber

Die Musik klingt, als wäre ihr die Buße für eine unbekannte Schuld auferlegt. Vielleicht die der späten Geburt. Bedenkt man, dass bereits 1965 – ein halbes Jahrhundert vor dieser Uraufführung von Jan Klusáks «Philoctetes» Mitte Mai 2015 im Antonin-Dvorák-Theater zu Ostrava – am gleichen Ort ein Happening John Cages mit Merce Cunningham und Robert Rauschenberg über...

Guter Rat

Wie reagieren Musiker auf dieselben Fragen? Wo ergänzen sie sich? Inwiefern helfen widersprüchliche Aussagen bei der Lösung praktischer Probleme? Der Tenor Donald George und die Pianistin Lucy Mauro haben sich ein Experiment ausgedacht: Sie interviewten namhafte Sänger über Grundlagen, Möglichkeiten, Gefahren und Schlüsselerfahrungen ihres Berufs. Die Ergebnisse...

Alles auf Neustart?

Ein maroder Theaterinnenraum aus dem bürgerlichen 19. Jahrhundert. 935 Nutzungseinheiten soll er nach dem Umbau hergeben, gigantische Einnahmen durch Verpachtung und Vermietung bringen. Das rechnet die Immobilienmaklerin dem Regisseur auf der Bühne vor und erklärt, bevor die Bautrupps mit der Abrissbirne anrücken: «Hier wird nicht mehr probiert, hier wird gemacht.»

...