Der Schrei nach Freiheit

Evgeny Titov deutet Wagners «Tannhäuser« in Graz als ein Künstlerdrama par excellence

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Entsetzlich! Scheußlich! Fluchenswert!» Das geladene Publikum stiebt auseinander, der Eklat beim noblen Sängerkrieg ist perfekt. Elisabeth ist zudem ganz außer sich, ringt nach Contenance, will wie die anderen Damen nur noch weg von hier, ist persönlich tief verletzt durch Tannhäuser, den sie liebt.

Der hat sich nach längerer Abwesenheit gleich beim erstbesten Zeitpunkt als irrer Partycrasher entpuppt, der nicht nur ein anrüchiges Loblied auf Venus singt, sondern sich nach allen Regeln der Kunst danebenbenimmt: Einen Kellner hat er zum Spaß sexuell bedrängt, der Sängerkrieg-Harfenistin schließlich das Abendkleid heruntergerissen und ihren Busen entblößt. Elisabeth hat die ersten Treppenstufen hinaus aus der Halle schon genommen, doch da alle auf Tannhäuser losgehen, bricht es aus ihr hervor: «Haltet ein!» Erica Eloff mischt ihrem leuchtenden hohen H jene Prise Schmerz bei, die den Wohllaut nicht mindert, die Expression aber genau trifft. Im nächsten Moment schlägt sie mit weit aufgerissenen Augen die Hand vor den Mund, aus Angst vor der eigenen Courage. Doch dann wird sie zur Anwältin des unbeherrschten, psychisch derangiert wirkenden Tannhäuser.

Erica Eloffs Elisabeth ist die ...

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Opernwelt Dezember 2024
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Walter Weidringer

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