Der Rest ist Schweigen
«Nijinskys Tagebuch für zwei Sänger, zwei Schauspieler, zwei Tänzer und Instrumente» nennt Detlev Glanert seine Auftragskomposition für das Theater Aachen: ein kaum kaschierter Hinweis darauf, dass ihn das Schicksal des historischen Nijinsky weniger interessiert. Auch nicht seine herausragende Stellung innerhalb der Ballets Russes des Serge Diaghilew. Es ist ausschließlich der «Textcorpus», eben das besagte Tagebuch, aus dem das hundertminütige Opus schöpft, ein «lebendiges, wenn auch multiples Wesen», wie der Komponist in einem Vorwort selbst meint.
«Neben Berichten aus dem Alltag stehen dort Erinnerungen, Zukunftsvisionen, Gedichte, Wortspielereien und der Zerfall der Sprache selbst; neben konkreten und banalen Erlebnissen findet sich Metaphysisches und Naives. Das Faszinierende dieser Tagebücher», die der legendäre Ballerino zwischen 19. Januar und 4. März 1919 in St. Moritz verfasste, «ist ihr Protokollcharakter der Schizophrenie, als Kommentar schon im Augenblick der Niederschrift».
Noch bevor Glanert überhaupt diesen Moment in Musik setzen kann, lässt der Regisseur Ludger Engels eine Feder übers Papier kratzen. Und die dem Geräusch inkorporierte Schreibbewegung ist es denn ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Fällt der Name Salzburg, so assoziiert fast jedermann die «Mozart-Stadt»; und ebenso selbstverständlich firmieren Bonn als «Beethoven-Stadt», Frankfurt als «Goethe-Stadt». Geburtsorte von Prominenten stiften lokale Identität, metaphysisch überhöht. Das Charisma des Genies adelt, ja heiligt die triviale Stätte, macht sie zur irdischen Station des Ewigen, gar zum...
Die Unterwelt des Bewusstseins, ihr rätselhaft Abgründiges und Monströses, hat Harrison Birtwistle schon immer fasziniert. Zumal in den Bühnenwerken findet die Vorliebe des 73-jährigen Doyens der britischen Komponistenszene beredten Ausdruck. Gleich der (vor vier Jahrzehnten in Aldeburgh uraufgeführte) Erstling steckte ein Terrain ab, das auf der Nachtseite der...
Wer im späten 19. Jahrhundert nördlich der Alpen Musik für die Bühne schrieb, kam um Wagner nicht herum. Mitunter hatte dies zweifelhafte Folgen: Mancher Spätgeborene ging vor den unendlichen Melodien des Bayreuther Meisters in die Knie. Chromatik light, Mischklang secondhand, geliehene Leitideen statt genuin eigener Töne. Zu den vergessenen Wagner-Epigonen jener...