Weltfußballer

Kleist "Amphitryon" im Staatsschauspiel Nürnberg

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Während Krieg herrscht, geht Anne Lenk ins Fuß -ballstadion. Ihr «Amphitryon», den sie im Nürnberger Schauspielhaus auf die Bühne schickt, kommt nämlich nicht aus der Schlacht, er kommt als Profikicker aus der Tiefe des Raumes, direkt aus der Umkleidekabine, verschwitzt und abgekämpft und glücklich mit dem riesigen Pokal. Er hat gewonnen, freilich nicht gegen die Athener auf leichenübersätem Schlachtfeld: Mit der thebanischen Mannschaft hat er vielmehr Ruhm auf dem grünen Rasen erlangt. Das soll ihm Alkmene nun lohnen mit Liebesnacht und Stolz auf den siegreichen Weltfußballer.

 

Doch die Spielerfrau, natürlich blond und ein bisschen tumb, ist schon befriedigt, da sie sich just mit einem Mann im Bette wälzte, den sie original für ihren Gatten hielt. Ein glattes Foul im Eheleben, denn – bleiben wir ruhig weiter in der Fußballsprache – es handelte sich um ein geschicktes, freilich auch hinterhältiges Täuschungsmanöver von Gott selbst. Jupiter zog sich das Trikot mit der Nummer 10 an, das eigentlich Amphitryon sonst trägt, und drang als Double in dessen heimischen Strafraum vor und ein. Nun steht er da, der mit Glanz, Gloria und Spott bekleckerte Stürmer, betrogen und vor allem nicht ...

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Theater heute 6 2022
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Bernd Noack

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