Von Hockern und Hockenden

Matthias Matschke entdeckt in Leipzig «Germans are different», und Miroslava Svolikovas «die hockenden» erleben ihre Bühnensitzgeburt zu Wien und Leipzig

Machen Sie mal alle: Ohhh!», grinst der «Musiktherapeut Hubert Wild» in die Zuschauerrunde und nervt gleich übergriffig weiter: «Staunen Sie mal in Ihren Hocker rein!» Man hatte ja durchaus befürchtet, dass sich dieses in jeder Hinsicht hohle Sitzmöbel, das man eingangs aus Pappmaché selbst hatte basteln müssen, zum zentralen Handlungsträger dieses seltsamen Mitmachtheaterabends mausern würde, den der Schauspieler und Comedian Matthias Matschke da unter dem Motto «Germans are different» auf die leere Hinterbühne des Schauspiels Leipzig geworkshoppt hat.

Aber dass dem dürren Höckerchen – und vor allem seinem unfreiwillig heimwerkelnden Urheber – wirklich so gar keine der vorhersehbaren Kindergartenübungen erspart bleibt, ermüdet dann doch ein bisschen – auch, wenn sich die extraordi­näre Blödigkeit natürlich in jeder Sekunde als konstitutiver Regiekonzeptbestandteil zu erkennen gibt. 

Abendfüllend durchquert das Publikum, das ja schließlich kein Spielverderber sein will, also den Raum mit dem Hocker auf dem Kopf oder aber – in inniger Umschlingung – vorm Bauch: das Requisit als Partnerersatz, dem man ständig irgendwelche Ehrbezeugungen entbieten soll. Am liebsten – «300 Meter von ...

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Theater heute Juni 2016
Rubrik: Aufführungen, Seite 29
von Christine Wahl

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