Schreibblockade und Schafott
Vor fast hundert Jahren – und damit lange vor Artaud – hatte der russische Theateravantgardist Nikolai Jewreinow das Theater mit dem Schafott verglichen. Er träumte von einer Theatralisierung des Lebens und sah in Napoleon den größten Regisseur aller Zeiten. In seinem Kabarett «Der Zerrspiegel» bereitete er dem damaligen Theater symbolisch das Schafott, indem er es persiflierte.
Vielleicht haben sich die Brüder Presnjakow, die sich ohnehin in der Linie des Grotesken und Hyperbolischen nach Gogol verorten und damit die Anhänger des gepflegten Theaterpsychologismus in Russland verschreckt haben, von Jewreinow inspirieren lassen für ihr neues Stück «Salmans Kopf». Und sie rühren mit diesem Text an einen Grenzbereich der Kunst: Wie weit können lebende Personen, seien es Politiker oder Künstler, Träger fiktionaler Konstrukte werden, ohne dass man sie selbst umfassend fiktionalisiert?
«Salmans Kopf» benutzt den bereits historisch gewordenen Fall des weltberühmten Schriftstellers Salman Rushdie. Dessen «Satanische Verse» hatten zu seiner Ächtung durch das iranische Regime geführt, das ein Kopfgeld auf den Autor ausgesetzt hatte. Seitdem lebt Rushdie im Exil, im Verborgenen, geschützt ...
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Theater heute Jahrbuch 2012
Rubrik: Die neuen Stücke der Spielzeit, Seite 165
von Jörg Bochow
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