Rache ist Blutwurst

Am Münchner Residenztheater beginnt die Spielzeit mit großen Abrechnungen: Frank Castorf stürzt sich in Célines «Reise ans Ende der Nacht», Gísli Örn Garðarsson ringt mit Shakespeares «Sturm», und David Bösch folgt der Spur von «Orest»

Theater heute - Logo

Es gibt da nichts zu beschönigen. Schon das erste Drittel des letzten Säkulums hätte gereicht, um dem Titel «Jahrhundert der Katastrophen» traurige Ehre zu machen.

Der französische Arzt und Skandalautor Louis-Ferdinand Céline war der erste, der das in seinem 1932 erschienenen Debut­roman «Reise ans Ende der Nacht» schonungslos verkündete, mit einer Sprache, die wie eine schmutzige Handgranate voller Zynismus, galligem Humor und ohne jeden Funken pathetischer Beschwichtigung in den Händen der literarischen Welt explodierte und ihm die Bewunderung vor allem auch der linken Prominenz eintrug.

Céline, das räudige Genie, der Judenhasser, als der er sich bald darauf entpuppte, und spätere Nazi-Kollaborateur, holt darin gleich zu Beginn seiner literarischen Laufbahn zu einem Rundumschlag aus, schickt sein Alter Ego, den Medizinstudenten Ferdinand Bardamu, als Frei­willigen in den Ersten Weltkrieg, den er als menschenverachtende Absurdität erlebt, entlarvt die obszöne Fratze des Kolonialismus in Afrika und die stumpfsinnige Ausbeutung der Arbeiter an den Fließbändern der amerikanischen Autoindustrie, bis er seinen angstgetriebenen Helden als Armenarzt – der er auch selbst zeitweise war – ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Dezember 2013
Rubrik: Starts/Aufführungen, Seite 28
von Silvia Stammen

Weitere Beiträge
Begrüßenswerte Turbulenzen

In der Royal-Court-Bar wächst gegen alle Schwerkraft Rasen an der Wand. Steht plötzlich eine improvisiert zusammengeklopfte Mini-Bühne mit Fähnchen zwischen den Tischen und dem Edel-Beton. Es gehen E-Mails durch die Networks junger Londoner Theatermacher, dass noch ein paar Lücken im «Open Court»-Programm offen seien, man solle sich doch mit Ideen melden. Im Royal...

Fabrik und Fashion

Elfriede Jelinek hat eine neue dramatische Strategie erfunden: das Sekundärdrama. Dieses sei, so die Autorin, von seinem «Wirt», dem Primärdrama, abhängig und dürfe nur gemeinsam mit ihm aufgeführt werden. Nach Faust («FaustIn and out») hat sich Jelinek nun Ibsens «Nora» vorgeknöpft. Der eigens für das Düsseldorfer Schauspielhaus verfasste Epilog «Nach Nora» spült...

Neuro-Perspektiven

Letztlich war der Kaffee schuld. Dabei hatte der ehrgeizige Neurochirurg alles so perfekt geplant: zuerst dem Werbefuzzi namens «Du» irgendwie sein schriftliches Einverständnis abgeluchst, dass er ihn nächtens in seiner Wohnung überfallen darf, sein Gehirn entnehmen, in eine Nährlösung packen und an einen Computer anschließen, der ihm eine perfekte Umwelt...