Moskauer Machtzirkus

Viktor Jerofejew «Der Große Gopnik» (U) am Theater Freiburg

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Stalin sitzt breitbeinig im Dampfbad. Unter seinem Handtuch wuchert ein Penismonster hervor, träge wie eine Würgeschlange. Ein groteskes Attribut der Tyrannenmacht. Holger Kunkel trägt das Geni-Teil angemessen selbstgefällig zur Schau, er verkörpert hier im Freiburger Großen Haus ja auch den obszönsten Grobian, unter dem die Sowjetunion im 20. Jahrhundert geknechtet hat. Und wenn dieser «Kleine Nächtliche Stalin» auch nur ein Traumzerrbild ist: Neben ihm verzwergt der Novize auf dem Kreml-Thron, den alle in dieser Geschichte nur den «Großen Gopnik» nennen.



«Du bist wie ein Schauspieler, der nicht weiß, welche Rolle er spielen soll», lästert Stalin. «Dabei ist alles ganz einfach. Mach aus der Modernisierung eine Mobilisierung.» Kriegsherrschaft also. Ob der Gopnik da nicht auch allein draufgekommen wäre?

Viktor Jerofejew datiert die Szene in der russischen Sauna auf das Jahr 2002. Der 76-jährige Schriftsteller hat im letzten Jahr einen autobiografisch gefärbten 600-Seiten-Roman veröffentlicht, ein vogelwildes Panoptikum, das in unzähligen Kapiteln und Episoden illusionslos, aber fantastisch davon erzählt, in welchen postsowjetischen Luxuskäfigen sich die Reichen, Klugen und ...

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Theater heute Juni 2024
Rubrik: Chronik, Seite 56
von Stephan Reuter

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