In Zeichenhimmel und -hölle

Zwei Uraufführungen und eine Dada-Übung in Zeiten von Krieg und Krise: Yael Ronen/Shlomi Shabans «Bucket List», Kurt Schwitters «Ursonate» und Wolfram Hölls «Niederwald» in Berlin und Leipzig

Theater heute - Logo

Nach dem langen Premierenschlussapplaus setzt sich Shlomi Shaban, zuständig für «Songwriting und Komposition», noch für eine Zugabe ans Klavier und versammelt alle auf der Bühne um sich. Man müsse «Bucket List», den einzigen Song, der es nicht in die Inszenierung geschafft habe, wenigstens auf diese Weise anständig beerdigen. Es folgt eine leicht wehmütige Balla -de übers einsame Nachdenken alternder Großstadtbewohner, was sie in ihrem Leben überhaupt noch so anstellen wollen. Was verpasst? Was wäre noch drin?

Dabei ist «Bucket List» (dt.

«Wunschzettel») nicht irgendein Song, der während der Proben rausgeflogen ist, sondern wohl die dramaturgische Klammer, die Yael Ronens erste Inszenierung zurück an der Berliner Schaubühne nach über einem Dutzend Jahren am benachbarten Gorki Theater hätte zusammenhalten sollen. Und der Titelsong sowieso. Doch dann kam der 7. Oktober mit dem Massaker der Hamas, weit über 1000 Toten und dem darauf folgenden Krieg in Gaza.

Nun beginnt «Bucket List» am Premierentag des 9. Dezember mit «War sings», einer düster-trotzigen Kriegshymne und bitteren Abrechnung zugleich, die mit dem Aufruf, sich dem Kampf anzuschließen, die Katastrophe heraufziehen sieht. ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Februar 2024
Rubrik: Aufführungen, Seite 10
von Franz Wille

Weitere Beiträge
Ganoven, Patriarchen, sanfte Seelen

Ardalion Alexandrowitsch Iwolgin sitzt auf dem Klo, als sein Sohn Ganja den Fürsten Myschkin als neuen Untermieter anschleppt. Hendrik Arnst hat als General a. D. und Oberhaupt einer moralisch und wirtschaftlich heruntergekommenen Familie, die Dostojewski als Gegenstück zu den wohlhabenden Jepantschins konstruiert, nur wenige Auftritte in Frank Castorfs...

Festival der ganzen Stadt

Die Überraschung ist Claudia Roth und ihrer Auswahlkommission für die neue Berlinale-Leitung schon mal gelungen: Tricia Tuttle hatte buchstäblich niemand auf dem Zettel. Was einerseits die schlimmsten Befürchtungen widerlegt. Es bedeutet nämlich, dass sie in der sumpfartigen deutschen Filmförderpolitiklandschaft bisher keine Rolle gespielt hat, ganz anders als ihr...

Nähe und Distanz

Dass Brecht sich 1947/48 in Zürich für die junge Schauspielerin Regine Lutz interessierte, die ihm als seltsam verhuschte Erscheinung in Gorkis «Wassa Schelesnowa» aufgefallen war, verblüffte die Kollegen am Schauspielhaus. Die aus Basel stammende Elevin hätte viel lieber die lasterhaftere der beiden Töchter Wassas gespielt und hatte deshalb in die vom Regisseur...