Herausgerissen
Unter all den oft sehr lauten Gefühlsausbrüchen auf einem Spielplatz ist auch dieser leise Angstmoment: wenn eine Schaukel in vollem Schwung nach hinten saust, am höchsten Punkt entgegen jeder Logik kurz verharrt, wenn der Blick fast senkrecht in den sandigen Boden fällt, die Ketten in den Händen plötzlich nicht mehr ganz gespannt sind und der Sitz leicht nach vorne kippt. Genau hier friert Bühnenbildnerin Anne Ehrlich die Szenerie ein, lässt das Kind in Gummistiefel und Anorak schräg in der Luft hängen, in diesem schönsten, schlimmsten, fragilen Moment.
Diese starre Installation in der Mitte der von großen Bungalow-Fensterscheiben umschlossenen Bühne lässt alles, was drum herum passiert, unwirklich und hyperreal zugleich wirken: das grünbürgerliche Geschwätz der Germanodeutschen in der Designerküche zur Linken, die Flüchtenden, die zur Rechten in irgendeinem Wartebereich gestrandet sind, die Nachrichten von Flucht, Krieg, Bürokratie, Pushbacks, Vertreibung, die in einer rauchigen Kabine hinter ihnen verlesen werden.
In «Exil» verwebt Autor und Regisseur Nuran David Calis dokumentarisches Material, Kammerspiel-Szene und literarische Stimmen. «Eine europäische Erzählung» lautet der ...
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Theater heute März 2023
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Cornelia Fiedler
Ziemlich sportlich, wie das Maxim Gorki Theater Kafkas «Amerika»-Roman liest: eine Textraserei, in der sich das achtköpfige Ensemble nicht nur den 16-jährigen Protagonisten Karl Roßmann reihum zuwirft, auf kreiselnder Drehbühne im Dauerlauf durch den Szenenparcours hechtet, von verzerrt-verfremdeter Sprechhaltung zu verbogenen Körpern switcht, getrieben von...
Seit einigen Wochen bin ich auf einer Zeitreise, gehe gedanklich zurück an meine Anfänge als Dramaturgin und erlebe die Jahre in Dresden aus dem Rückblick. Mein langjähriger Chefdramaturg und Intendant Dieter Görne ist gestorben. Meine Trauer ist groß.
Groß ist auch das Erbe, das er hinterlassen hat. Mir und anderen. Davon will ich erzählen. Ich durchforste...
Im Grunde ist das Theater Meiningen ein klassizistisches Resultat von deutscher Kleinstaaterei und Geltungssucht. Das Große Haus, 2010 komplett saniert, mit seinen sechs prunkvollen ionischen Säu -len, gelegen in einem Park mit originalen Fake-Ruinen, ist eigentlich viel zu groß für die 25.000-Einwohner-Stadt im Thüringer Wald. Weitab von jeder Metropole hat...