Grenzen verschieben

Die Schauspielerin Cennet Rüya Voss erinnert sich an ihr 20-jähriges Ich

Mein 20-jähriges Ich schreibt in einer Bewerbung an die Studienstiftung des deutschen Volkes: «Ich hoffe, dass Theater politisch und gesellschaftlich wirken kann, weiß es aber nicht. Es geht nicht um eine perfekte Einzelleistung, sondern um das große Ganze, um das gemeinsame Ringen um Wahrheit. Dieses unendliche Bedürfnis, gemeinsam Grenzen zu verschieben.» 

Deswegen habe ich mich entschieden, Schauspielerin zu werden.

Ich sehnte mich nach Austausch mit anderen Menschen, wollte den Unsinn, die Krisen dieser Welt in einer absurden Bühnenrealität erforschen, nicht alleine, sondern durch neue Perspektiven meiner Spielpartner:innen, durch neue Worte, Figuren: sprachlich, gedanklich, körperlich. Ich wollte mich nicht abfinden, wollte widerständig sein. 

«Grenzen verschieben» – wie leicht ich mir das vorgestellt habe … 

Wenn wir in den letzten zwei Jahren über Machtmissbrauch, Diskriminierung, prekäre Arbeitsverhältnisse gesprochen haben, ging es immer um Grenzen, Grenzverletzungen, Kunst und Po -litik, um Kunstfreiheit, das Persönlichkeitsrecht, die Menschen -würde, um Arbeitsweisen, um Ängste, Wut, um unsere Liebe zum Beruf. Die Debatten haben viele Emotionen ausgelöst. Nicht nur bei ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Jahrbuch 2022
Rubrik: Transformation, Seite 82
von Cennet Rüya Voss

Weitere Beiträge
Systemversagen nach Büchner

Maria Milisavljevics Hauptfigur Kathrin ist Pflegekraft in einem Al - tenheim. Sie trägt nicht nur die Verantwortung für die Bewohner:innen des Heimes, sie spürt sie auch – Tag und Nacht, seit Jahren. Ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigt sie schon lange. Bis zur Selbstaufgabe wäscht und wendet sie die alten Menschen und nimmt sich Zeit, wo diese fehlt. Getrieben...

Jetzt mal ernsthaft

Die Menschen sind schlecht, und die Welt ist am Arsch», singt der Sänger Kummer in «Der letzte Song». Es geht darin um die Musik an sich, die in dieser Welt Trost spenden könnte. Um einen Künstler, der gern sagen würde, «das System ist defekt, die Gesellschaft versagt / aber alles wird gut». Es gelingt ihm nicht. Er kann immer nur sagen, was ist, und dass das, was...

Tanz auf Eierschalen

Natürlich hat sich, seit ich vor fünfzehn Jahren angefangen habe, am Theater zu arbeiten, einiges im Bezug auf Machtstrukturen verändert. Die lautstarken öffentlichen Diskurse der letzten wenigen Jahre um Machtmissbrauch und auch die damit verbundenen personellen Konsequenzen – wenn es denn welche gab – haben zu einem überlegteren Umgangston am Theater geführt. Es...