Der Überlebende
Wer sollte in Joshua Sobols «Ghetto» Jacob Gens spielen, den jüdischen Polizeichef und Herrn über Leben Tod im Wilnaer Ghetto 1942/43, den Mörder und Kollaborateur mit den Nazis, der sich die Hände schmutzig machte und viele in den Tod schickte, um einige vielleicht zu retten oder ihnen vielleicht wenigstens noch eine Gnadenfrist zu erhandeln? Peter Zadek fragte für seine Berliner Inszenierung in der Freien Volksbühne 1984 ausgerechnet Michael Degen, der als Kind mit seiner Mutter in Berlin in verschiedenen Verstecken den Naziterror fast nicht überlebt hätte.
Degen sagte sofort zu, aus Neugierde, wie er später einmal meinte, weil er sich für die Figur und ihre Abgründe interessierte.
Der im Berliner Versteck auswendig gelernte «Faust» half Degen gleich nach dem Krieg beim Vorsprechen am Ostberliner Deutschen Theater. Dann begann eine lange Karriere: in den 1950er Jahren bei Brecht am Berliner Ensemble, später an den großen Bühnen in Köln, Hamburg, Frankfurt, Berlin und München. Er arbeitete mit wichtigen Regisseuren seiner Zeit wie Peter Zadek, Ingmar Bergman, Rudolf Noelte oder George Tabori. Seine Figuren zeichnete er oft mit leicht eingedunkelter Eleganz, einer nie ganz ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Theater heute 6 2022
Rubrik: Magazin, Seite 69
von Franz Wille
Über viele Jahre konnte die rechtsradikale Terror -zelle NSU Mitbürger:innen ausländischer Herkunft ermorden, ohne überführt zu werden. Grund dafür: Der Verfassungsschutz ermittelte beharrlich in die falsche Richtung. Einen rechtsextremen Hintergrund der Taten schloss er aus und versteifte sich auf organisierte ausländische Kriminalität. Aufklärung über diese...
Ich entschuldige mich aufrichtig bei jeder, die sich verletzt fühlt, bei jedem, der sich wegen mir schlecht gefühlt hat. Ich wünsche ihnen die Anarchie der Liebe und der Schönheit» – diese handschriftlichen Zeilen hatte der belgische Künstler und Choreograf Jan Fabre während des Prozesses gegen ihn wegen sexueller Belästigung seinen Anwält:innen zur Übermittlung an...
Die Holländische Straße in Kassel ist nicht unbedingt das, was man eine schicke Flaniermeile nennen würde. Prosaische Nachkriegsarchitektur dominiert, die vorherrschende Farbe ist mattes Grau, Geschäfte und Wohnhäuser reihen sich schmucklos aneinander. Eine typische Ausfallschneise eben, ohne Flair, ohne Charme.
Im April 2006 erlangte diese Straße traurige...