Der Gedärmeforscher

Zum Tod von Dimiter Gotscheff

Theater heute - Logo

Der Gedärmeforscher Eines Sommerabends vor sechs Jahren warteten eine Freundin und ich in einer Sparkassen-Filiale am Rosenthaler Platz auf einen freien Geldautomaten. Ein Typ mit wirren grauen Haarsträhnen und sackartig ausgebeultem, speckigem Anorak hatte schon ziemlich lange auf eins der Geräte einge­redet und hilflos an ihm herumlaboriert, als er schließlich kapitulierte und auf uns zu in Richtung Ausgang schlurfte.

«Herr Gotscheff», rief ich, überrascht, dass ich ihn von hinten für einen Obdachlosen gehalten hatte, «Guten Abend!»

Wir hatten uns wenige Wochen zuvor bei einem Recherchegespräch für ein «Theater heute»-Porträt kennengelernt. Er lächelte halb scheu, halb schelmisch und auf jeden Fall gut angetrunken unter seiner silbernen Strähnentolle hervor. Ein paar Minuten später saßen wir vor dem damaligen Imbiss «International», und Gotscheff philosophierte bei einem Piccolofläschchen Weißwein freimütig über Drogen, Castorf, den «Unsinn», Kritiker zu den chronisch uneingespielten Premieren einzu­laden – und über die Prostituierte, der er gerade sein letztes Bargeld gegeben habe. Ob Wahrheit oder Pose: Er genoss sichtlich unsere halb (spieß-)bürgerliche, halb feministische ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Dezember 2013
Rubrik: Abschied, Seite 34
von Eva Behrendt

Weitere Beiträge
Franz Ferdinand

Der Abend zerfällt in zwei Teile. In jenen vor der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie und jenen nach dem Attentat. Der erste Teil: nervös, aufbrausend. Der zweite Teil: lähmend, vor sich hin siechend. Dazwischen: ein schwarzes Loch. Es klafft wie eine große Leerstelle in Biljana Srblja­novic’ neuem Stück, auch wenn...

Das Wiener Lehrstück von der Ausgliederung

Erster Akt: Die ungehaltene Rede

Die Rede, die vom Jubiläumskongress des Burgtheaters im Oktober bleiben wird, wurde gar nicht gehalten. In einer Pause enterte ein Mann in der dunkelblauen Uniform eines Burgtheaterbilleteurs und hob zu einer Rede an, die umgehend abgewürgt wurde. Der Mann, der sich als Christian Diaz vorstellte, konnte gerade noch seine...

In Erbauungslaune

Für pathos- und patriotismusimmune Zeitgenossen ist «King Arthur» eine ziemliche Herausforderung. Gepusht von atmosphärischen Gesangseinlagen, konkurrieren der titelgebende britische Good Guy und der sächsische Bad Guy Oswald in John Drydens und Henry Purcells «Semiopera» nicht nur um Grund und Boden, sondern vor allem um eine blinde, blondgelockte Emmeline, die zu...