Der Gedärmeforscher
Der Gedärmeforscher Eines Sommerabends vor sechs Jahren warteten eine Freundin und ich in einer Sparkassen-Filiale am Rosenthaler Platz auf einen freien Geldautomaten. Ein Typ mit wirren grauen Haarsträhnen und sackartig ausgebeultem, speckigem Anorak hatte schon ziemlich lange auf eins der Geräte eingeredet und hilflos an ihm herumlaboriert, als er schließlich kapitulierte und auf uns zu in Richtung Ausgang schlurfte.
«Herr Gotscheff», rief ich, überrascht, dass ich ihn von hinten für einen Obdachlosen gehalten hatte, «Guten Abend!»
Wir hatten uns wenige Wochen zuvor bei einem Recherchegespräch für ein «Theater heute»-Porträt kennengelernt. Er lächelte halb scheu, halb schelmisch und auf jeden Fall gut angetrunken unter seiner silbernen Strähnentolle hervor. Ein paar Minuten später saßen wir vor dem damaligen Imbiss «International», und Gotscheff philosophierte bei einem Piccolofläschchen Weißwein freimütig über Drogen, Castorf, den «Unsinn», Kritiker zu den chronisch uneingespielten Premieren einzuladen – und über die Prostituierte, der er gerade sein letztes Bargeld gegeben habe. Ob Wahrheit oder Pose: Er genoss sichtlich unsere halb (spieß-)bürgerliche, halb feministische ...
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Theater heute Dezember 2013
Rubrik: Abschied, Seite 34
von Eva Behrendt
Der Abend zerfällt in zwei Teile. In jenen vor der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie und jenen nach dem Attentat. Der erste Teil: nervös, aufbrausend. Der zweite Teil: lähmend, vor sich hin siechend. Dazwischen: ein schwarzes Loch. Es klafft wie eine große Leerstelle in Biljana Srbljanovic’ neuem Stück, auch wenn...
Erster Akt: Die ungehaltene Rede
Die Rede, die vom Jubiläumskongress des Burgtheaters im Oktober bleiben wird, wurde gar nicht gehalten. In einer Pause enterte ein Mann in der dunkelblauen Uniform eines Burgtheaterbilleteurs und hob zu einer Rede an, die umgehend abgewürgt wurde. Der Mann, der sich als Christian Diaz vorstellte, konnte gerade noch seine...
Für pathos- und patriotismusimmune Zeitgenossen ist «King Arthur» eine ziemliche Herausforderung. Gepusht von atmosphärischen Gesangseinlagen, konkurrieren der titelgebende britische Good Guy und der sächsische Bad Guy Oswald in John Drydens und Henry Purcells «Semiopera» nicht nur um Grund und Boden, sondern vor allem um eine blinde, blondgelockte Emmeline, die zu...