Bonn: Plappernde Pizzaschachtel

Lukas Linder «Draußen rollt die Welt vorbei» (U)

Plappern Pizzaschachteln plötzlich los, ist man unter Umständen in einem Theatertext des Schweizer Autors Lukas Linder. In Bonn jedenfalls ist das so. Dort spricht ein gewisser Franz aus einer Verpackungspappe, was eine gewisse Nelly dann doch ziemlich überrascht. Die Stimme aus dem Karton ist die ihres Zwillingsbruders.

Komisch, gibt es den überhaupt noch? Ist der nicht längst tot, und wenn nicht, in welchem Aggregatzustand und wo bitte lebt er gerade? 

Solche Fragen stellt Nelly sich, während sie ungerührt ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgeht: Beim Fernsehen «von einem Höhepunkt zum anderen» masturbieren. «Draußen rollt die Welt vorbei» entstand als Auftragswerk für das Theater Bonn, wurde in der Regie von Mina Salehpour uraufgeführt und wartet mit einer derart außergewöhnlichen Ausgangssituation auf, dass die Würfel schon nach den ersten Sätzen gefallen sind. 

 

Wer derart irre beginnt, kann nur so weiter machen und eine sich fortschreibende Dada-Logik des Erzählens bedienen. Das hat unter anderem zur Folge, dass der Franz aus der Pizzaschachtel seiner masturbierenden Zwillingsschwester vorwirft, sie sei ein «herzloses Schwein». Sie aber genießt ganz ungerührt den nächsten ...

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Theater heute Juni 2016
Rubrik: Chronik, Seite 59
von Jürgen Berger

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