Berlin: Aus dem Steinbruch gehauen

nach Frank Witzel «Die Erfindung der Roten Armee Fraktion ...»

Es war der Roman mit dem längsten Titel der Saison, und er wurde zur allgemeinen Überraschung mit dem sonst durchaus eher dem leichter Bekömmlichen zugeneigten Deutschen Buchpreis 2015 gekrönt: Frank Witzels «Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969». Auf über 800 Seiten in mannigfaltigen Textsorten reflektiert, erinnert, assoziiert, kommentiert und fantasiert sich Witzel, Jahrgang 1955, in eine Adoleszenz in den 60er Jahren in der spießigen Enge der hessischen Provinz. Der namenlose Fabrikantensohn, ca.

13, dessen Mutter so krank ist, dass die «Frau von der Caritas» das Regime, möglicherweise auch das erotische, im Haushalt übernommen hat, entflieht der häuslichen Enge in die ersten pubertären Sexfantasien, die Wonnen der Popmusik in der historischen Konkurrenz von Stones und Beatles, er hängt mit den Klassenkameraden ab und imaginiert sich Mord, Revolte und Totschlag, und landet schließlich in der Jugendpsychiatrie, deren Befragungen sich kaum unterscheiden von den Beichten, die ihm die Patres im Beichtstuhl abringen.

Aufgeladen ist Witzels Patchwork-Panorama mit Marken- und Produktnamen, aberwitzigen Bibelexegesen, Songtiteln ...

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Theater heute Juni 2016
Rubrik: Chronik, Seite 59
von Barbara Burckhardt

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