Ausgeleitete Aggressionen

Hermann Nitsch, der Impresario des Orgien-Mysterien-Theaters, ist tot

Theater heute - Logo

Im Herbst 2005 hielt sein Orgien-Mysterien-Theater Einzug in Öster -reichs höchster Weihestätte für dramatische Kunst: im Burgtheater. Viele Stunden lang wurde – auf penibel abgedeckten Bühnen, Wegen und Sitzen – unter Aufsicht des Meisters prozessiert, Geschlachtetes aufgebahrt und an Kreuzen aufgerichtet, in Bottichen vol -ler Gedärme gewühlt und mit Blut geplantscht, wie in keiner noch so provokanten Inszenierung zuvor. Kam es bei dieser 122.

von insgesamt 158 Aktionen zur gemeinschaftlichen Katharsis von Publikum und Kunst, wurden gar kollektiv «Aggressionen ausgeleitet»? Schwer zu sagen, mit Sicherheit jedoch war der Wiener Aktionismus zu diesem Zeitpunkt längst zum hochkulturellen Event geworden, das vom bürgerlichen Publikum ungerührt weggeguckt werden konnte. 

Hermann Nitsch, Jahrgang 1938, wuchs als Sohn einer Kriegswitwe in Wien auf und war diplomierter Gebrauchsgrafiker, als er Ende der fünfziger Jahre seine ersten «Lammzerreißungen» in der Wohnung von Otto Mühl durchführte – jenes Künstlerkollegen, der später wegen Kindesmissbrauchs in seiner Kommune zu vielen Jahren Haft verurteilt wurde. Doch in den sechziger Jahren machten die Aktionisten und damit auch Nitsch ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute 6 2022
Rubrik: Magazin, Seite 71
von Eva Behrendt

Weitere Beiträge
​​​​​​​Revolution und Dokumentation

Es war eine Art Klassentreffen des freien belarussischen Theaters, was das Festspielhaus Hellerau mit seinem Festival «Nebenan/Побач. Unabhängige Kunst aus Belarus» unter der kuratorischen Leitung von Johannes Kirsten organisiert hatte. Denn seit der brutal unterdrückten Revolution vom Herbst 2020 gegen die Wahlfälschungen von Dauerdiktator Lukaschenko befindet...

Krieg der Worte

Will ein Theater heute Stücke zum Thema Krieg auf den Spielplan setzen, bieten sich zwei Dramen ganz besonders an. Einerseits die antike Tragödie «Die Troerinnen», in der Euripides nicht die siegreichen Helden des Trojanischen Kriegs, sondern die Frauen der Besiegten sprechen lässt. Andererseits, aus der jüngeren Vergangenheit, «Reich des Todes», in dem Rainald...

Es wird finster

Alles Zerfall? Nicht wirklich. Dass der Wald in Thomas Bernhards «Die Jagdgesellschaft» von Borkenkäfern befallen ist, bleibt in Herbert Fritschs Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus Behauptung. Stattdessen wuchern Bäume als durchaus kleidsames Wohnungsgrün in das Bühnengebäude hinein. Und überhaupt, dieses von Regisseur Fritsch selbst gestaltete Gebäude: Das...