Zärtlicher Hass
Wo gerade noch das niedliche Ferienhaus der Familie Tyrone stand, liegt nur noch ein Bretterhaufen: Nach zwei Minuten ist es explodiert in tausend Teile. Ein Schockmoment, ein Knall -effekt für den Zuschauer, das Bild der Zerstörung danach erinnert an Überreste von Flutkatastrophen oder Erdbeben. Und so setzt Johann Simons mit seinem Hauptregieeinfall des Abends Eugene O’Neills toxisch-autobiografische Fa -miliengeschichte, uraufgeführt 1956, am Schauspielhaus Bochum direkt in die Bilderwelt der Klimakatastrophen-Gegenwart.
Im pastellfarbenen Licht (Bernd Fellner) des Sommertages ist buchstäblich alles eingestürzt, was noch Halt gab, und so kann die Reise in den Abgrund losgehen – auch wenn sie stets wirkt wie mit angezogener Handbremse angetreten. Mary Tyrone und ihr Ehemann James (Pierre Bokma) irren gefasst durch die Trümmer, als hätten sie es erwartet, retten ein paar Verandamöbel, Topfpflanzen, eine Heiligenfigur und natürlich die Flasche Whisky. Warm glüht das Abendlicht im Bühnenbild von Eva Veronica Born, immer höher lässt sie im Laufe des langen Abends die Nebelwand hochziehen, die bald alles in düsteres Weißgrau taucht – nur ab und zu tut sich ein Spalt auf in der linken ...
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Theater heute Dezember 2024
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Dorothea Marcus
BERLIN, GEORG KOLBE MUSEUM
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