Weimar: Systemarrangements
Willy Werchow (Sebastian Kowski) dürfte für viele Ex-DDRlerinnen und -DDRler ziemlich anschlussfähig sein: Als Leiter der Druckerei «Aufbruch» in der thüringischen Provinz arrangiert er sich zwar so weit mit dem System, dass es ihm keine Schwierigkeiten macht, aber auch nur so weit, dass er noch einigermaßen selbstachtungsverlustfrei in den Spiegel schauen kann.
Seine Kinder Britta (Nadja Robiné) und Matti (Lutz Salzmann) agieren indes deutlich aufmüpfiger in Hasko Webers Inszenierung «Brüder und Schwestern» nach Birk Meinhardts gleichnamigem 700-Seiten-Roman im E-Werk des Deutschen Nationaltheaters Weimar.
Sie solidarisieren sich mit einem Freund, der von der Schule verwiesen wird, weil er in einem so genannten «Fleischerhemd» zum Unterricht erschienen ist. Es handelt sich – wir schreiben das Jahr 1976 – um jenes Kleidungsstück, das Wolf Biermann bei dem Kölner Konzert trug, nach dem er aus der DDR ausgebürgert wurde. Beide Werchow-Kinder suchen sich anschließend Nischen, in denen es sich vergleichsweise System-unbehelligt leben lässt: Britta wird Zirkus-Artistin und turnt kreative sportgymnastische Keulen- und Trapez-Choreografien auf die E-Werk-Bühne. Matti zieht sich auf den ...
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Theater heute Januar 2020
Rubrik: Chronik, Seite 61
von Christine Wahl
Zu Beginn eine Szene, die an die US-Serie «True Detective» erinnert: Taschenlampen erhellen den dunklen Bühnenraum, geben den Blick frei auf eine unheimlich drapierte Frauenleiche. Eindeutig ein Ritualmord: ausgeweidet wie ein Tier, mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf und Runenzeichen am nackten Körper. «Fesseln, Stiche, Folter, nirgends Blut», stellen die beiden...
Es gab Zeiten, da konnte man den Eindruck gewinnen, Festivals kreieren, losgelöst von lokaler Verortung, ein sich vorwiegend aus Eigenblut speisendes System international zirkulierender Großproduktionen, deren gemeinsamer Nenner vor allem in ihrer möglichst voraussetzungslosen universalen Rezipierbarkeit liegt. Beim Münchner Spielart Festival, und nicht nur dort,...
Auch das postdramatische Theater ist inzwischen in die Jahre gekommen. Mit einer Tagung in der Berliner Akademie der Künste und einem Festival im Kreuzberger Hebbel am Ufer feierte das gleichnamige Buch von Hans-Thies Lehmann soeben seinen 20. Geburtstag. Und weil entsprechende Kulturtechniken im Alter ja erbarmungslos zuschlagen, wurde es bei dieser Gelegenheit...