Eine Leiche mehr
Roxane kocht Gemüsesuppe, und alle Mord-und-Rache-Fantasien Racines landen im Kochtopf. Es ist ein Ereignis. Wie die Schauspielerin Jeanne Balibar sich ihre Kraut- und Sellerieköpfe zurichtet, wie sie die Tomaten blutig quetscht, dem Suppenfleisch eine Abreibung mit Kochsalz verpasst – das hat Klasse und sagt beiläufig was aus über ein Frauenbild. Dass Balibar dabei völlig nackt ist, sagt noch mal was anderes aus über ein spezifisch Castorfsches Frauenbild, das ist eine Diskussion für sich. Selbst der Wesir Acomat und sein Berater Osmin müssen die Köpfe schütteln.
Immerhin erfährt die Nacktheit auch eine gewisse dramaturgische Stringenz, indem Roxane anschließend von den beiden Serails-Magistraten angezogen und gleichzeitig domestiziert wird, sie spreche bei Racine mit «schüchterner Stimme», erinnern sie Balibar. Deren Nacktheit mithin fürs Ungezähmte, Unzivilisierte, Wilde und Ekstatische stehen mag, das auf der literarischen Ebene die Texte von Antonin Artaud der Inszenierung beisteuern.
Macht und Liebe im Dreieck
Es ist dies, der Aufruhr, der Castorf an Racines Figuren interessiert. «Bajazet» spielt im Serail eines ottomanischen Sultans mit Namen Amurat, welcher aber selbst ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute Januar 2020
Rubrik: Aufführungen, Seite 16
von Andreas Klaeui
Wie heißt er denn jetzt umgangssprachlich, der Cunnilingus, der Blow Job für die Frau? Ein merkwürdig bezeichnungsfreier Akt ist das, und das spricht natürlich auch schon für sich. Olivia Öl jedenfalls hätte gern einen, oder mehrere – aber nicht von ihrem Freund Popeye. Da ist die Scham davor: Die Scham vor dem Geruch, vor dem Geschmack, vor dem Überhaupt ihres...
Man kann es kommen sehen. Dass in dieser Ballettstunde nicht alles mit richtigen Dingen zugeht, ist eigentlich schon auf den ersten Blick klar. Schließlich steht die Ballettlehrerin Beatrice «Trixie» Cordua mit ihren achtzig Jahren nackt auf der Bühne. Wie selbstverständlich fordert sie ihre Schülerinnen dazu auf, die Ballettstangen auf die Bühne zu stellen, um...
Eine Sextherapie gegen Rassismus: «Slave Play» wirkt auf den ersten Blick ziemlich abgedreht. Doch vielleicht zeichnen sich gute Ideen genau dadurch aus, dass sie anfangs befremden und am Ende den Eindruck hinterlassen, dass sie eigentlich ziemlich naheliegend waren. In dem Stück des dreißigjährigen Autors Jeremy O. Harris, das Anfang Oktober am Broadway Premiere...