Vertrauen in das Wort

Geplant war ein Interview mit fünf Fragen an Sivan Ben Yishai, zwei schafften es in den Text. Entstanden ist ein Essay über die Schwierigkeit, sich nach dem 7. Oktober zu Israel, Gaza und der deutschen Debatte zu äußern Von Sivan Ben Yishai

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Sivan Ben Yishai Ich habe die Redaktion gefragt, ob es in Ordnung wäre, dieses Interview in schriftlicher Form zu führen. Viele reden gerade. Viele schnelle Äußerungen, hastige Worte. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich lieber geschwiegen. Ist es aber nicht. Diese Tage bringen eine Hoffnungslosigkeit mit sich, wie ich sie bislang nicht kannte. 

Theater heute Wie haben Sie persönlich die drei Monate nach dem 7.

Oktober erlebt? 
Ben Yishai Und ich meine nicht diese «Small Talk»-Hoffnungslosigkeit. Nicht diese «Oh-die-Welt-ist-so-beschissen»-Hoffnungslosigkeit, sondern diese Hoffnungslosigkeit, die ganz konkret deine Fähigkeit, als Bürger:in zu handeln, bedroht, die dich als Künstler:in entwertet. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation B’tselem hat Israel bis zum 28.12.2023 einen von 100 Menschen in Gaza getötet. 85 Prozent der Bevölkerung von Gaza wurden vertrieben. Das «Wall Street Journal» berichtet, dass mehr als 70 Prozent der Häuser beschädigt oder zerstört wurden. Die Wunden von 1948 werden von neuen Trümmern bedeckt, jeden Tag kommt ein neuer Geist aus der Wunderlampe: von der einen Seite das Comeback des «Rechts auf Rückkehr», diesmal in den Norden des Streifens; von ...

SIVAN BEN YISHAI, geboren 1978 in Tel Aviv, studierte Szenisches Schreiben und Theaterregie in Jerusalem und Tel Aviv, arbeitete als Regisseurin und lebt seit 2012 in Berlin. Sie war in der Spielzeit 2019/20 Hausautorin am Nationaltheater Mannheim. 2020 wurde sie mit «LIEBE/Eine argumentative Übung» sowie 2022 mit «Wounds Are Forever (Selbstporträt als Nationaldichterin)» zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen; 2022 erhielt sie den Mülheimer Dramatikpreis.

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Theater heute Februar 2024
Rubrik: International, Seite 34
von Sivan Ben Yishai

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