Unternehmen mit Vorbildfunktion
Glitter aus Eukalyptus, Kreuzstromwärmetauscher, Workshops zu Afro-Haar und der «Handbook-First»-Ansatz. Was hat das mit Theater zu tun? Es hat mit Digitalisierung, Diversität und Nachhaltigkeit zu tun, den drei Hauptthemen, die sich unter dem Stichwort «Transformation» versammeln. Längst hat dieser Begriff die Kulturinstitutionen erreicht.
Schließlich müssen gerade sie sich als sogenannter Seismograf gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen anpassen, müssen umgehen lernen mit der demografischen Entwicklung, der Überalterung der Gesellschaft, dem Fachkräftemangel, der Zuwanderung und Integration, dem Klimaschutz und der Energiesicherheit. Gerade die Theater müssen beweglich bleiben. Dürfen nicht fest -stecken, weder im Stücke-Kanon noch in der Arbeitsroutine.
Am Staatstheater Hannover fanden in der Spielzeit 2023/24 drei Transformationstage und Feedback-Runden statt, angeleitet von Prasanna Oommen. «Ich supporte nur», beschreibt die Moderatorin und Kommunikationsberaterin ihre Arbeit. Diese beinhaltet aber, wenn man Oommen einen Vormittag lang zwischen Flipcharts, Karteikarten und Keksen zusieht, noch deutlich mehr. Ruhig und entschieden vergibt sie Arbeitsaufträge für die Kleingruppen der unterschiedlichen Theater-Abteilungen und führt durch die anschließenden Kurzpräsentationen. Sie spiegelt die Ideen der Teilnehmer:innen und schafft fast unmerklich Raum für Synergien. Diese entstehen etwa, wenn der Requisiteur Uwe Heymann erklärt, dass er seinen Bestand gerne inventarisieren möchte, ihm aber dafür die Zeit fehle. Und kurz darauf die Kollegin Anna Peschke vom Vorderhaus anmerkt, dass es in ihrer Abteilung vor allem im Sommer freie Kapazitäten gebe. Dann scheint eine Lösung nah. Wären da nicht die seit den 1970ern bestehenden Tarif -verträge, die die Arbeitseinsätze einiger Abteilungen recht eng fassen.
Gecoachte Lernprozesse
«Meine Empfehlung ist, dass das Haus selbst entscheidet, mit welchen Change-Themen es sich beschäftigen will», konstatiert Oommen. Ihr Job ähnelt der einer Coachin. Nur coacht sie keine Einzelperson, sondern ein ganzes Unternehmen. Nüchtern betrachtet ist das Staatstheater Hannover ein Unternehmen mit 950 Beschäftigten und damit ein wichtiger Arbeitgeber in der Landeshauptstadt Niedersachsens. Und eben auch «ein Unternehmen mit Vorbildfunktion, das einen verantwortungsvollen Umgang mit Fördermitteln aus öffentlicher Hand prak -tizieren sollte», merkt der Pressesprecher Nils Wendtland an.
Dazu gehört die Infragestellung des örtlichen Müllbetreibers und dessen Sortierung genauso wie der Einbau von Licht-Bewegungsmeldern, die Abbestellung katalogdicker Spielzeithefte, die schrittweise E-Umrüstung der Fahrzeugflotte sowie die Vermeidung von Verpackungsmaterial und Mikroplastik in der Maskenbild-Abteilung. Natürlich sei das auch ein «Einschnitt in die eigene Kunst, die es maximal zu schützen gilt», und erfordere ein Umdenken, was den eigenen Anspruch an die Arbeit angehe, gibt Guido Burghardt, der Chefmaskenbildner des Schauspielhauses, zu. Doch schließlich gehe es ja um nichts weniger als die Rettung der Welt, und die Extrazeit für die Recherche und Weiterbildungen investiere er gerne, die Lernprozesse seien für ihn eine absolute Bereicherung. «Die Kunst muss sich ändern, so wie wir auch.»
Das steht für Markus Fricke außer Frage. Dem Leiter der Bühnentechnik stehen dazu glücklicherweise die Mittel und in dem südwestlich gelegenen Stadtteil Bornum auch Flächen zur Verfügung, um sogar Bühnenbilder nachhaltig anfertigen zu lassen, respektive einzelne Teile zu recyclen. In den hochmodernen Werkstätten, die dort seit September 2023 in Betrieb sind, sorgen allerneueste Maschinen für enorme Effizienz – und damit für einen geringeren Mate -rialverschleiß, bessere Planbarkeiten und auch für flexiblere Arbeitszeitmodelle. In dem Neubau befinden sich außerdem Lagerflächen für Norm-Teile – ein modulares System für Pro -bebühnenaufbauten –, sowie auf 250 Quadratmetern ein mittelgroßer Bühnenbildfundus. Viele Ausstatter:innen nähmen das Recycling-Angebot gern an, erzählt Fricke, schließlich werde so der eigene Etat weniger beansprucht.
Von sichtbaren Einsparungen berichten Linnja Naujoks-Auffenberg, Leiterin des Referats Informationsmanagement und Organisationsentwicklung, und Steffen Barklage vom Gebäudemanagement. Durch die Umstellung auf das digitale Rechnungswesen konnten bereits Zehntausende Euro durch Skonto-Nachlässe eingespart werden. Durch den Einsatz von LED-Leuchtmitteln und weitere Energiesparmaßnahmen spart das Staatstheater gegenüber 2007 jedes Jahr 430.000 Euro. Natürlich seien dafür Ressourcen und Investitionen notwendig, die sich aber langfristig – und damit nachhaltig – lohnen. Viel interne Kommunikation sei dafür vonnöten «und auch eine Menge Bürokratie», fügt Carsten Hausadel hinzu, der im Haus für die Bereiche Compliance und Qualitätsmanagement verantwortlich ist. Schließlich ist Anfang 2023 mit der Corporate Sustainability Reporting Directive eine neue EU-Richtlinie in Kraft getreten, die vorsieht, dass künftig viel mehr Firmen als bisher verpflichtet sind, einen Nachhaltigkeitsbericht abzugeben. Das betrifft ab 2025 alle großen Unternehmen im Sinne des Handelsgesetzbuchs, dazu gehören auch viele Theater. Am Ende aber stärke der Transforma -tionsprozess die Teilhabe, Sichtbarkeit und den Zusammenhalt aller Mitarbeiter:innen, da die Dokumentation ihres Arbeitswisssens – hier ist er wieder, der «Handbook-First»-Ansatz – alle Intendant:innenwechsel überdauere.
Sonja Anders, Noch-Intendantin am Schauspielhaus Hannover, wechselt zur Spielzeit 2025/26 ans Thalia Theater Hamburg. Umso wichtiger ist es ihr jetzt, «diesen großen Apparat in Bewegung zu bringen». Auch wenn, wie sie zugibt, «das natürlich nicht konfliktlos abläuft». Jeder Transformationstag sei ja nicht nur ein Instrument, das man bedient, sondern trage auch dazu bei, eine Gemeinschaft zu kreieren, «mit der man eine Erfahrungsarchitektur über ein Theater herstellt». Dass in den Theatern Veränderung – und zwar nicht nur auf der Bühne – anstehe, ist Anders schon lange klar. «Ich finde es ja gut, dass die Dramaturgie am Kanon arbeitet und sich fragt, ‹welche Geschichten wollen wir eigentlich einer Gesellschaft erzählen, die sich so verändert hat?›. Aber genauso müssen wir auch den Zuschauer:innen in die Augen gucken können, wenn wir diese per se nicht besonders nachhaltigen Bühnenbilder produzieren.» Und fügt nicht ohne Stolz hinzu: «Wir haben zum Beispiel einen Bühnenbildboden, der das dritte Mal benutzt wird.»
Das Staatstheater Hannover steckt mittendrin im Transformationsprozess. Es entdeckt neue Möglichkeiten, freut sich über Synergien und verbucht erste Erfolge. Gibt es eigentlich einen Zeitpunkt, an dem so ein Prozess abgeschlossen ist? «Nein», lächelt Prasanna Oommen, «und genau das ist ja das Positive daran.»
Theater heute August/September 2024
Rubrik: Magazin, Seite 69
von Katrin Ullmann
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