Ungeheulte Tränen
Eigentlich gehört sie gar nicht dazu. Iphigenie, ist «die Handlung vor der Handlung / der Hintergrund / um die Story auszulösen». Schließlich, so erzählt es Aischylos’ «Orestie», muss Iphigenie geopfert werden, damit ihr Vater Agamemnon überhaupt gegen Troja in den Krieg segeln kann. Denn vorher ist da Windstille, gottverdammte Flaute. Agamemnon also opfert seine Tochter. Wind kommt auf und mit ihm Krieg, Schuld und Verhängnis. Später Mord, Betrug, und Rache – die ganze Orestie eben.
Iphigenie also ist nicht mehr als «eine halbe Zeile / in der Geschichte ihres Vaters / Absatz 7.1.2 in seinem detaillierten Wikipedia-Eintrag», ist «der Zündfunke, der Firestarter». So nüchtern, feinsinnig ironisch beschreibt Sivan Ben Yishai die Frauenfigur. Ben Yishai, Miru Miroslava Svolikova und Maren Kames haben für die Spielzeiteröffnung am Theater Münster die «Orestie» fortgeschrieben. Dafür legen die Autorinnen Iphigenie mit «Das Dilemma meines Vaters» (Sivan Ben Yishai) einen sehr heutigen, sachlich-analytischen Prolog in den Mund, geben mit «kassandras» (Miroslava Svolikova) der hellsichtigen Seherin unzählige ungehörte Stimmen und lassen in «Ich glaube ich spuke – eine ...
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Theater heute 11 2022
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Katrin Ullmann
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