Theater der Zusammenhänge

Alexander Lang (1941–2024) hat als Schauspieler und Regisseur wichtige Phasen am Deutschen Theater mitgestaltet. Ein Nachruf

Theater heute - Logo

Der 1941 in Erfurt geborene Alexander Lang studierte nach Gelegenheitsjobs als Plakatmaler und Bühnenarbeiter von 1963 bis 1966 an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Er und die meisten seiner später ebenfalls erfolgreichen Mitstudierenden präsentierten sich 1965 im von Wolf Biermann begründeten, dann der Hochschule zugewiesenen Studiotheater «bat» in einer mit der Regisseurin Uta Birnbaum vom BE erarbeiteten Abschlussinszenierung des grotesken Märchenstücks «Schuhu oder Die fliegende Prinzessin» von Peter Hacks.

Neben Lang, der sich auch als Regieassistent bewährte, debütierten Hermann Beyer als Prinz Schuhu, Renate Krössner als fliegende Prinzessin, Michael Gwisdek, Cornelia Schmaus, Ursula Staack, Walfriede Schmitt sowie der spätere Autor Stefan Schütz. Surreale Fantasie, anarchische Verrücktheit und poetischer Zauber triumphierten. Trotz artifizieller Gestaltung war es eine Aufführung mit politischer Brisanz und gesellschaftlicher Konkretheit.

Eine ähnlich explosive Mischung von Sinnlichkeit und intellektueller Renitenz hatte damals auch Konrad Wolfs letzter Film «Solo Sunny», in dem er Alexander Lang als Saxofon spielenden Berliner Hinterhausphilosophen besetzte, von dem die Barsängerin Sunny (gespielt von Re -nate Krössner) sich Halt und neue Lebensenergie erhofft. Weitere Filmrollen folgten, doch das Hauptwirkungsfeld Langs wurde das Theater.

Nach kurzen Engagements am Gorki Theater und am Berliner Ensemble gehörte Aleander Lang ab 1969 zum Ensemble des Deutschen Theaters. Hier spielte er in den Inszenierungen von Adolf Dresen und in Aufführungen des Regieduos Erfurth/Stillmark den Johnny Boyle in «Juno und der Pfau» von Sean O’Casey, den Ferdinand in «Kabale und Liebe», den Kipper Paul Bauch in Volker Brauns damals von den Gralshütern des Sozialistischen Realismus heftig bekämpften gleichnamigen Bühnenerstling. Dann folgten die Titelrolle in «Prinz Friedrich von Homburg» und Ruprecht in «Der zerbrochne Krug». Dieses Kleist-Doppelprojekt von Adolf Dresen war ein spannendes Experiment von großem sprachlichem und mit einer völlig auf Schwarz-Weiß-Kontraste beschränkten Optik auch ästhetischem Reiz. Lang war ein sorgfältig abwägender, aufbrausender, nervös exaltierter, wütend verzweifelter und gefasster Prinz, den Ruprecht spielte er als schwerfälligen, aber nicht einfältigen Bauernsohn, der am Ende wie ein Sansculotte Adam an die Gurgel wollte, der sich nur durch einen Hechtsprung aus dem Fenster retten konnte.

Wutbeseelte Wahrsprecher
Nicht zuletzt die Theaterarbeit mit Dresen und weit mehr noch die Ermutigung durch die Dramaturgin Ilse Galfert führten dazu, dass Lang nun selbst inszenieren wollte. Und Ilse Galfert sorgte dafür, dass ich keine seiner frühen Regiearbeiten wie «Pauline», «Das Biest», «Die Insel», «Philoktet», «Miss Sara Sampson», «Horribilicribrifax» und schließlich Tollers bissige Satire «Der entfesselte Wotan» versäumte. Langs Bühnenbildner waren zunächst Gero Troike und Hans Brosch, ab «Wotan» war Volker Pfüller der ideale Partner, dessen Handschrift immer treffend das Stückkonzept und die Physiognomie der Rollenauffassungen spiegelte. Die Stücke überzeugten durch die Schauspieler, deren Imaginationskraft und Arbeitshaltung. Christian Grashof, Katja Paryla, Dieter Montag, Margit Bendokat, Kurt Böwe, Roman Kaminski, Dietrich Körner, Inge Keller bescherten dem Deutschen Theater von 1979 bis 1986 eine Glanzzeit wie seit dem Tode Wolfgang Langhoffs lange nicht mehr.

Antike und klassische Stücke wie «Medea», «Iphigenie auf Tauris» und «Stella», dann Grabbes Schauspiel «Herzog Theodor von Gothland», Strindbergs «Totentanz», Georg Büchners «Dantons Tod», Heinrich Manns «Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen», Bechers «Winterschlacht» (kombiniert mit Heiner Müllers «Wolokolamsker Chaussee) oder Bertolt Brechts Gräuelmärchen «Die Rundköpfe und die Spitzköpfe» wurden mit listigem und komödiantischem Witz zu neuem Leben erweckt.

Die oft unerkannten, weil üblicherweise nur routinemäßig oder gar nicht gespielten Stücke blühten auf, ihr explosives Pulver wurde toll verschossen, die Schauspieler in «Dantons Tod» oder «Die Rundköpfe und Spitzköpfe» erlebte man als wutbeseelte Wahrsprecher. Spannend war am ersten Abend die Kombination der «Medea» von Euripides und der «Stella» von Goethe mit dem «Totentanz» von August Strindberg zu einer «Trilogie der Leidenschaft». Katja Paryla spielte Medea und Alice in «Totentanz», Christian Grashof war der Erzieher ihrer Kinder am Hofe Jasons und Edgar in «Totentanz», Dieter Montag war Jason und Kurt in «Totentanz». Margit Bendokat verkörperte Stella, Roman Kaminski war Fernando und Gudrun Ritter spielte Cäcilie.

Alexander Lang zur Kombination der Stücke: «Ich nenne das Theater der Zusammenhänge … In ‹Stella› rennt eine neue Gesellschaft, das frühe Bürgertum, gegen erstarrte Konventionen an. Eine Utopie wird verteidigt. Und in ‹Totentanz› handelt es sich schon um die Endepoche einer Gesellschaftsformation. Zwischen den Geschlechtern besteht in gewisser Weise eine Patt-Situation. Die Frau versucht, die Männer so in ein Verhältnis zu setzen, dass sie überleben kann … Wir zeigen den Mord als Reflexhandlung. Sie stranguliert die Kinder beinahe unbewusst, so dass die Tat nicht verabscheuungswürdig, sondern tragisch wirkt. Es war mir wichtig, Medea in ihrer moralischen Qualität als Frau zu erhalten.»

Weg in den Westen
Wie dem Duo Karge/Langhoff erlaubte das Ministerium für Kultur der DDR, weiteren politischen Sprengstoff ihrer Inszenierungen fürchtend, auch Lang und Pfüller Gastierurlaube im Westen. Sie inszenierten «Don Karlos» von Schiller und das Doppelprojekt «Phädra» von Racine/«Penthesilea» von Kleist an den Münchner Kammerspielen. Beide Aufführungen gastierten dann, eingeladen zum Theatertreffen, auch in West-Berlin. Lang scheute leider die Rückkehr zu seinem Team, er inszenierte in Hamburg und dann in Paris an der Comédie Française (Lessings «Nathan der Weise» und Goethes «Faust»); beteiligte sich an der Vierer-Intendanz des Schiller Theaters, aus der er vorzeitig wieder ausstieg, und nach der Wende arbeitete er auch wieder am Deutschen Theater, geleitet von Thomas Langhoff, und er unterrichtete Schauspiel an der Hochschule für Schauspielkunst «Ernst Busch». Privat suchte er neues Glück, er musste aber viele schmerzliche Schicksalsschläge ertragen, der Verlust beider Beine zwang ihn in den Rollstuhl.

Er nahm es hin – als Rolle. Schließlich war er gelernter Schauspieler, von Darstellung zu Darstellung eilend. Über seinen Freund Grashof schrieb er: «Unser Beruf ist Schauspieler, früher sagte man auch Darsteller. Unsere Arbeit ist, eine dichterische Figur zum Leben zu erwecken, sie glaubhaft darzustellen. Ein handwerklicher Beruf, bei aller Berufung, die dazugehört. Chris hat diesen Beruf erlernt – und erarbeitete sich seine Figuren. Nicht verbissen oder sich einengend, sondern meistens heiter, sich öffnend, mit größter Hingabe, im wahrsten Sinne: ‹sich freispielend›, und er genoss diese erarbeitete Freiheit. Der Zuschauer bekam von ihm etwas zum Anschauen, zum Hinschauen, zum Staunen, zum Lachen, zum Bewundern, aber auch zum Ablehnen, wenn es denn jemandem nicht gefiel, wie er spielte. Unbeteiligt blieb niemand. Alles im Spiel ist erlaubt, nur nicht: zu langweilen!»

Ästhetische Konsequenz
Die beste Aufführung, die im Schiller Theater der so genannten «Viererbande» zu sehen war, gelang dem kurzfristig beteiligten Mitdirektor Alexander Lang: ein Grimmscher «Märchenabend» mit dem hier einzigartigen Bernhard Minetti, dem Spielen sein Leben war und der bei Grüber gelernt hatte, die Dinge aus dem Schweigen heraufzurufen, Lebenswahrheit zuzulassen. Kein Theaterfass aufzumachen, sondern wahrer und einfacher zu werden, leichtfertiger und leichtfüßiger. Lang verstand es, alle Unarten Minettis zum Leuchten zu bringen, leichtfüßig zu machen. Dessen extreme Mimik offenbarte Lebenswahrheit, die Lust an der Bosheit, am Geheimnisvollen, an Vitalität und Zerbrechlichkeit. Alle Gedanken und Gefühle erlebte man verkörperlicht. Minetti war hier ein alter Fuchs, vor dem man sich in Acht nehmen muss, aber dessen verführerischer Gewitztheit man dann doch erlag.

Die Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied er seit 1986 war, ehrte Lang 2020 mit der Verleihung des Konrad-Wolf-Preises, an sein Credo zum Kunstanspruch des Theaters erinnernd, das er gegenüber dem Theaterkritiker Martin Linzer zum Ausdruck gebracht hatte: «Kunst besteht aus Inhalt und Form, ohne Form gibt es nur formlosen Inhalt, also eine Art Brei, und Form ohne Inhalt endet zumeist im dekorativen Kunstgewerbe. Alle Überlegungen müssen in einer ästhetischen Konsequenz enden.» 


Theater heute Juli 2024
Rubrik: Magazin, Seite 68
von Klaus Völker

Weitere Beiträge
Vorschau und Impressum TH 7(24

Pläne der Redaktion

Milo Rau übernimmt die Wiener Festwochen und gründet eine Freie Republik: Bilanz einer Kunststaatsgründung nach der ersten Spielzeit

Einmal ist nicht genug: Elfriede Jelinek hat ihrem Stück «Die Schutzbe fohlenen» einen zweiten Teil nach geschrieben – der Stückabdruck

Wenn sie «Kleiner Brauner» sagt, fliegen Kaffeehaustische weg und die FPÖ gleich mit: Laudatio auf...

Am Ende Hoffnung

Da bricht er durch. Unter Nebel und Getöse wird die rechte Wand des grauen Hotelzimmers umgeworfen, und heraus tritt in martialisch behelmter Kampfmontur Matthias Avemarg als Soldat und zeigt dem ohnehin schon desolaten Ian, gespielt von Maximilian Bendl, wo der Hammer hängt. Im Hintergrund, mit viel Nebel und Gegenlicht, vergewaltigt er ihn erst und reißt ihm dann die Augen heraus.

Sarah...

Sivan Ben Yishai: Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert

Aufgrund seiner komplexen graphischen Gestaltung kann "Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert" nicht im Browser dargestellt werden. Bitte nutzen Sie das E-Paper oder wenden Sie sich für ein PDF an kontakt@der-theaterverlag.de.