Selbstbeobachtung mit Rezeptionsgeschichte

Ersan Mondtag inszeniert Thomas Jonigks Überschreibung der «Phaedra» von Racine, Seneca und Schiller

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Racines «Phaedra» spielt man am liebsten auf Eis (wie Martin Kušej 2017 in München) oder zumindest auf weißem Sand (Johannes Schütz in Köln 2011): kunstvoll kristallisierte frostige Sprache gegen heiße Gefühle. Aber Ersan Mondtag erhitzt die Tragödie, bis sie in Sprechblasen zerplatzt. Aus zu viel Ernst wird zu viel Spaß. 

Ersan Mondtags Bühne ist eine vergrößerte, liebevoll zusammengesammelte Installation von Playmobil-Häusern und -Figuren.

Man erwartet so etwas wie die «Klassiker der Weltliteratur to go», die der Ulmer Dramaturg Michael Sommer seit Jahren mit Playmobilfiguren bei YouTube präsentiert. Alle Darsteller:innen tragen anfangs auch starre Halbmasken, wirken wie Plastikpuppen mit ihren steifen Gesten. Hübsch albern sind auch die flachen amerikanischen Straßenkreuzer, die wie die Bobbycars für Kleinkinder mit den Füßen bewegt werden, aber dennoch leuchtende Scheinwerfer und einen dampfenden Auspuff haben. 

Aber Ersan Mondtag als Regisseur konterkariert diese Infantilität mit genderkritischer Exaltiertheit. Dabei wird die Grenze zwischen Schauspieler:in und Rolle verwischt: Auch die Rolle weiß, wie es enden wird, und der Schauspieler beobachtet sich selbst in seinem Be ...

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Theater heute 1 2023
Rubrik: Aufführungen, Seite 22
von Gerhard Preußer

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