Sei deine Legende
Der Titel ist eine Ansage: «Karl May», Weltbestseller-Autor aus ärmlichsten Verhältnissen, dessen Männer-Helden um Old Shatterhand, Winnetou, Kara Ben Nemsi et al. nicht nur in postkolonialen Seminarräumen bei bloßer Erwähnung die Neonröhren zum Flackern bringen. Fröhlicher Kolonialismus, kulturelle Aneignung, toxische Männlichkeit, you name it. Es braucht heute keine Silberbüchse mehr, um den sächsischen Geschichtenerzähler zur Strecke zu bringen.
Enis Maci und Mazlum Nergiz wissen das längst und nicken in ihrem Stück die allfälligen Anwürfe, wenn überhaupt, eher nebenbei pflichtschuldig ab. Ihr Text interessiert sich an mehreren lose verknüpften Beispielen mehr für das Phänomen an sich: Wie man als gesellschaftlicher Underdog seine unerreichbaren Träume erfolgreich in Legenden verwandelt, die ihre eigene Wahrheit entwerfen. Und wie – das wäre schon die gewagtere These – sich in diesem Trivialgeschichtenmüll Ereignisse verstecken, die in zukünftige Katastrophen münden. Etwas angestrengt hochtrabend mit den Worten, die in der Uraufführung (Regie Maci/Nergiz) Martin Wuttke vertritt: «Wir bewegen uns auf den Ruinen der Vergangenheit oder in der Kulisse eines in Zukunft noch zu ...
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Theater heute Februar 2024
Rubrik: Chronik, Seite 55
von Franz Wille
Theater heute «The Silence» ist ein sehr persönlicher Familienbericht aus Ihrer Jugend in Buchholz in der Nordheide. Es enthält zum Teil sehr heftige Anwürfe gegen die Eltern, vor allem den Vater. Wie ist es, so schonungslos über sich und seine Familie zu schreiben? In vorherigen Texten wie «Small Town Boy» (2013) oder «In My Room» (2020) kam die Familienbiografie...
Lessings «Nathan der Weise» ist ein be - merkenswertes Stück und seine utopische Botschaft, die vom Glauben an das Gute im Menschen getragen wird, großartig und hehr. Bloß ist diese 1783 uraufgeführte Toleranz- und Humanitätsdichtung heute in ihrer ursprünglichen Gestalt nicht mehr ohne Weiteres spielbar. Vor allem wegen ihres Happy-Ends, das die drei...
Da ist diese eine Szene, in der Sandra Hüller lacht. Sie liegt im Bett, das einen Meter entfernt ist von ihrem Mann, eine unüberbrückbare Distanz in dieser ziemlich toten Ehe. Ihr Mann (Christian Friedel) ist Rudolf Höß, der das Konzentrationslager Auschwitz aufgebaut hat und die planmäßige Vernichtung von Juden perfekt bürokratisch verwaltet. Wenn er in diesem...