Schwere Prüfung

In China stellt der Coronavirus ein ganzes Land unter Quarantäne

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Die letzten zweieinhalb Wochen, länger als die gesamte Dauer des chinesischen Frühlingsfestes, habe ich bei meinen Eltern in Changzhou 180 km westlich von Shanghai verbracht. Kurz nachdem ich ankam, am 23. Januar, wurde aufgrund der Coronavirus-Pandemie die Quarantäne über Wuhan verhängt und angekündigt, dass landesweit keine Feierlichkeiten im öffentlichen Raum stattfinden dürfen. 

Ich habe die letzten Wochen also fast ausschließlich in der Wohnanlage verbracht, in der meine Eltern leben.

Seit in Changzhou eine infizierte Familie gemeldet wurde, ist das Verlassen des Compounds untersagt. Um nicht durchzudrehen, war ich jeden Tag innerhalb meines Wohlstandsgefängnisses joggen, habe versucht, mich mit Filmen abzulenken und mich zugleich wie eine Süchtige über Internetplattformen auf dem Laufenden gehalten. Während das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen kam, tobte es umso heftiger auf WeChat. Hier verfolgen wir täglich und in schlaflosen Nächten, wie schnell die Zahl der Infizierten ansteigt, wie hoch der Bedarf an professionellen Schutzmasken und -kleidung für Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern ist. Wir lesen die Hilferufe von Leuten aus Wuhan, die nicht wissen, wo und wann sie ihre kranken Angehörigen behandeln lassen können. WeChat kann eine verlässliche Quelle sein, wenn auch oft mit nur kurzer Verweildauer: Viele Nachrichten, die ein schlechtes Licht auf den Staat, die Behörden oder Personen in führender Position werfen, werden von der Internetpolizei wieder gelöscht. 

Es war eine private WeChat-Gruppe von Ärztinnen und Ärzten, die Ende Dezember die ersten Corona-Infizierten geleakt und vor dem Virus gewarnt hatte, woraufhin sie von der Polizei zur Rede gestellt und als «Gerüchte verbreitende Verleumder» gebasht wurden. Inzwischen ist Li Wenliang, der erste Whistleblower dieser Gruppe, am Virus gestorben; er hinterlässt eine schwangere Ehefrau und infizierte Eltern. Die eingesperrten Bewohner von Wuhan verabredeten sich im Netz zu einer kollektiven Gedenkzeremonie mit gelöschten Wohnungsbeleuchtungen, Handytaschenlampen und Triller­pfeifen. Inzwischen soll eine von der Regierung entsandte Gruppe den Fall Li Wenliang untersuchen. Können wir uns darauf verlassen? 

Generationenkonflikt

Auf Empfehlung meiner Tochter schaue ich mir die amerikanische Serie «Tschernobyl» an. Die Parallelen sind erschreckend: Wie damals in der Sowjetunion versuchte unsere Bürokratie zunächst, die Pandemie zu vertuschen und zu verharmlosen, und diejenigen, die sich nicht daran halten, zum Schweigen zu bringen. Der Generation meiner Eltern gelingt es häufig, diese intransparente, autoritäre Führung auszublenden. Als ehemalige Hochschulangestellte werden sie nun im Alter mit großzügigen Pensionen bedacht. Zwischen uns ist die Stimmung manchmal zum Zerreißen gespannt, beim Essen oder wenn wir die Nachrichten schauen: Ich kann nicht fassen, dass sie das Propaganda­gerede einfach so schlucken.  

Im Netz hingegen spüre ich, dass ich mit meiner Wut nicht allein bin. Für eine neue Online-Plattform von Theaterschaffenden habe ich einen Text geschrieben, den der Kollege, der die Seite betreut, erst abgeschwächt, dann mit meinem Einverständnis durch den Beitrag einer Theaterwissenschaftlerin ersetzt hat. Heute hat er meinen Text auf einer anderen Plattform veröffentlicht, die mit Stellenanzeigen im Bereich Bildender Kunst zu tun hat. Er sagt, da fällt er nicht auf, aber es ist eine Chance, ihn überhaupt publik zu machen. Ich bin gerührt, dass er sich darum so bemüht hat. Hier der veröffentlichte Text:

«Seit Anfang des neuen Jahres sind wir mit einer schweren Prüfung konfrontiert. Die Viruswelle bricht mit der gewohnten Ordnung und dem selbstverständlichen Alltag. Dieser Bruch ist aber auch eine Chance, uns tiefgehend mit dem System, der Gesellschaft, der Familie und uns selbst auseinanderzusetzen. Ich finde, wir Theaterschaffenden müssen auf dem Boden der Gegenwart stehen, von uns selbst ausgehen, die Fragen stellen, die uns nicht loslassen. Denn aus diesen Fragen ergeben sich auch Methode und Praxis. Wenn dich also die Verzweiflung und das Nichts überwältigen, schreibe darüber. Schreib über die Trauer, die nach Mitternacht aufkommt. Wenn du allein auf einer verschneiten Insel feststeckst, versuche möglichst, mit deiner eingeschränkten Kraft das Feuer größer zu blasen. Wenn du überlebst, vergiss nicht, eines Tages die Wahrheit über die Betroffenen und Gestorbenen zu erzählen.»


Theater heute März 2020
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Kefei Cao

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