Saarbrücken: Nah bei K.
Ein Herrenanzug auf einem Tisch. Sechs Männer und eine Frau, allesamt stummfilmhaft geschminkt und in weißer Feinripp-Unterwäsche, zupfen an ihm herum, bringen ihn allmählich zum Tanzen. Dann stülpen sie den Anzug einem von sich über, dem staunenden jungen Mann mit der Stirnlocke. Und im Handumdrehen ist er zum Protagonisten in Kafkas Erzählung «Das Urteil» geworden, der am Tisch sitzend einen Brief an seinen fernen Freund zu verfassen versucht. Dabei führen ihm die miteinander verschmolzenen restlichen Akteure wie einer Marionette die Hand, grübeln und streiten mit ihm.
Kurz darauf zerbirst die lebende Plastik in verschiedenste Väterfiguren – vom Tattergreis bis zum zackigen Befehlshaber –, die dem Sohn chorgewaltig die Leviten lesen.
Rasch geht es in die nächste Kafka-Erzählung über, und zunehmend verliert man die Orientierung in dem erstaunlichen szenisch-dramatischen Fragment-Labyrinth, das Laura Linnenbaum am Saarländischen Staatstheater aus zahlreichen Kafka-Erzählungen, Briefen und Tagebucheintragungen geknüpft hat. Auf dem Hauptpfad dieses Abend stolpern die K.s (Universalchiffre für alle Anti-Helden Kafkas, sei es Gregor Bendemann, Josef K., Karl Roßmann oder ein ...
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Theater heute November 2018
Rubrik: Chronik, Seite 59
von Natalie Bloch
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