Monster sehen anders aus
Der ältere Herr, der aus dem Bühnendunkel ganz nach vorn an die Rampe tritt, sich setzt und mit den Beinen baumelt, sieht aus, als wolle er gleich mit dem Publikum schmusen. Zutraulich lässt Jean-Pierre Cornu seinen Blick über den Zuschauerraum wandern, forscht sehnsuchtsvoll in einzelnen Gesichtern. Ein melancholisches Lächeln spielt um die bitteren Lippen, als wüsste er, dass er mit seinem Schmerbäuchlein, das sich unterm halbtransparenten Seidenhemd wölbt, und der grau melierten Langhaar-Lockenpracht ein bisschen lächerlich ausschaut.
«Ich weiß wirklich nicht, warum ich so traurig bin», gesteht er leise, «es nervt mich. Andere nervt es auch.» Das intime Bekenntnis des venezianischen Kaufmanns Antonio, dessen Flotte sämtliche Weltmeere bereist, hat schon viele Deutungen erfahren: Von der ersten Altersdepression eines Bonvivants über die berufliche Krise des Risiko-Unternehmers bis hin zur unterdrückten Liebe zum flotten Bassanio.
Monster sehen anders aus
Auch Robert Hunger-Bühlers Shylock ist ein Geschäftsmann mit sanften Zügen und silbernem Haar, das sich orthodox von den Schläfen lockt. Um den weißen Hemdkragen liegt ein schwarzes Headset-Kabel, der Gebetsriemen des ...
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Noch bevor es richtig losgeht, sind sie alle baden gegangen. Zwei Paare, zwei Kinder, zweieinhalb Generationen bundesdeutscher wochenendalkoholisierter gehobener Mittelstand sind schneller abgesoffen, als sie denken konnten. Man hatte eine kleine Bootspartie auf dem See neben der Villa unternommen, da war ihnen die alte Calypso vollgelaufen. Die griechische Göttin...
Wir persönlich hätten uns ja auch Margot Honecker und Wolf Biermann als «Traumpaar von einst» vorstellen können. Wo Florian Havemann in seinem symbolischen Vatermord-Wälzer «Havemann» gerade so lustig von einem One-Night-Stand der DDR-Staatsratsvorsitzenden-Gattin und -Volksbildungsministerin mit dem ausgebürgerten Sänger plauderte! Egal, ob es sich dabei um...
Michael Merschmeier Wir haben zusammen Jürgen Goschs Inszenierung von Tschechows «Onkel Wanja» im Deutschen Theater gesehen. Ihr Vater war Arzt, Sie haben auch Medizin studiert. Ist die Figur des Doktor Astrow Ihrer Erfahrung nach eine Karikatur: ein Trinker, der kaum arbeitet, aber über zu viel Arbeit klagt?
Jürgen Zöllner Die Kombination Arzt und viel Arbeit ist...