Mainz: Ukulele Gottes
Heilig gesprochen wurde Hildegard von Bingen vor fünf Jahren. Papst Benedikt XVI. wünschte sich in einem Dekret, der Heilige Geist möge auch weiterhin «weise und mutige Frauen erwecken, die, indem sie die von Gott erhaltenen Gaben wertschätzen, ihren wertvollen und je eigenen Beitrag zum geistlichen Wachstum unserer Gemeinschaften und der Kirche in unserer Zeit leisten». So viel zum Frauenbild der katholischen Kirche.
Als der Papst zur Heiligsprechung schritt, war Hildegard von Bingen schon einige Zeit einigermaßen heilig, aber nicht, weil die seit ihren fünften Lebensjahr von Visionen geplagte Mystikerin, Naturforscherin, Dichterin, Komponistin, Äbtissin zu ihrer Zeit das Wort Gottes verkündete. Als sie der Welt eine ihrer ersten Visionen mitteilte, hörte sich das an, als habe eine Schwester von Moses den Gipfel der Verkündigung erklommen: «O, du gebrechlicher Mensch, Staub vom Erdenstaube, Asche von der Asche, rufe und verkünde von der makellosen Erlösung, damit jene unterwiesen werden, die das Mark der Schriften sehen, sie aber noch nicht verkündigen und predigen wollen.» Hildegard von Bingen ist heute das Role Model für ein vermeintlich natürlich-harmonisches Leben. Wer eine ...
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Theater heute August/September 2017
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Jürgen Berger
Man muss sich die Bilder nochmal vor Augen halten: Jahrelang stand an Montagen «das Volk» zu Tausenden auf diesem Platz zwischen Semperoper, Zwinger und Elbe und skandierte rechte Parolen, putschte sich selber in seinem Fremdenhass auf, schürte Angst, schwenkte Fahnen und schmähte alles, was seiner Ansicht nach nicht (richtig) deutsch ist. Pegida und dann die AfD...
Ah, we’re in Europe now!», ruft Nora Chipaumire, «nobody talks!» Oh ja, wir sind in Europa. Mitten in Europa. In Hannover, genau gesagt, einer ziemlich mittelmäßigen Stadt, wie es später in einem anderen Stück heißen wird, beim Festival Theaterformen. Doch erstmal finden wir uns im Boxring einer Künstlerin wieder, die aus Simbabwe stammt und heute in New York City...
In russischen Lettern ziert Miftis T-Shirt das Wort «Nadryw», Kennern von Frank Castorfs «Karamasow»-Inszenierung wohlbekannt als unübersetzbares Schlüsselwort für einen Zustand im Grellgraubereich zwischen Schmerzextase und Überspanntheit. Man muss Helene Hegemann keinen erneuten Plagiatsvorwurf daraus drehen, dass sie sich diesen Begriff aneignet: Er trifft...