Männerdämmerung

Martin Kusej inszeniert Schillers «Don Karlos» am Residenztheater, und Marta Górnicka dirigiert ihr neues feministisches Chorstück «Jedem das Seine» an den Kammerspielen

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Zum Schluss stapfen zwei alte Männer (weiß sind sie natürlich auch) durch eine finstere, mit Leichensäcken gepflasterte Ödnis. Der Grauhaarige im hö­fischen Kostüm fragt den noch Älteren im modernen Lederblouson, wem er denn nun seinen einzigen Sohn überantwortet habe. Der Angesprochene beglückwünscht zur richtigen Entscheidung: «Der Verwesung lieber als / Der Freiheit.» Es sind König Philipp II.

von Spanien und sein väterlicher Freund, der Groß­­inquisitor, und es ist der zynische Nullpunkt einer familiären wie politischen Katastrophe, die der junge Schiller in seinem am Vorabend der Französischen Revolution in den Jahren 1783 bis 1787 entstandenen dramatischen Gedicht «Don Karlos» mit schmerzhafter Präzision ansteuert. Gleich wird Philipp seinen verzweifelt rebellischen, da unter chronischem Liebesentzug aufgewachsenen Sprössling der Inquisition ausliefern, der Aufstand der freiheitsliebenden flandrischen Provinzen ist bereits durch eine Strafexpedition des katholischen Hardliners Herzog Alba erstickt. Von Gottes Willen oder Rettung des Seelenheils ist dabei nicht die Rede. Es geht um pure Macht durch Gewalt und Kontrolle.

In postdemokratischer Finsternis 

Am Münchner ...

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Theater heute Juli 2018
Rubrik: Aufführungen, Seite 6
von Silvia Stammen

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