Im Rassismus-Korsett
«Addicted to you», schallt es verheißungsvoll über die Bühne. Hinter Wänden aus dünnen weißen Fäden, aus denen Philip Rubner und Alexander Grüner drehbare Räume gebaut haben, geben sich die beiden Protagonisten Othello (Calvin-Noel Auer) und Desdemona (Nadja Robiné) in einem Kingsize-Bett auf Rollen dem Liebesspiel hin. Desdemona erhält ihr Tuch als Liebespfand, und die Welt könnte perfekt sein.
Ist sie aber nicht, denn da ist ja noch Jago.
Marcus Horn wendet sich direkt ans Publikum, ein ehrgeiziger, sich übergangen fühlender Mensch, für den auch die Liebe nur eine rein technischhormonelle Reaktion ist und der zusammen mit Rodrigo (Janus Torp) mit seinen rassistischen Ressentiments nicht hinterm Berg hält. Selbst das N-Wort, anfangs noch mühsam zurückgehalten, fällt später in diesen Tiraden regelmäßig. Ähnlich simpel und rückständig ist sein Frauenbild. Horn spielt das gekonnt, triefend vor Doppelzüngigkeit. Dieser Jago ist hier die einzige agierende und nicht nur reagierende Figur, die allerdings von der Ereignislawine gleichermaßen überrollt wird. Besonders gegen Ende, wenn er seltsam unmotiviert seinen Gönner Rodrigo zur Strecke bringt und selbst mit leeren Händen dasteht.
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Theater heute Februar 2023
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Torben Ibs
Was macht die Liebe in der Theaterkritik? Den großen Unterschied, so hat es Nikolaus Merck in seinem letzten Text für nachtkritik.de beschrieben, in dem er sich auf einen Essay von Andreas Wilink bezog. Sie sei die Abgrenzung zur Beckmesserei, zudem «der Antrieb für die Einsamkeitsakrobatik des Schreibens». Am Ende also gar «das Geheimnis der Kritik».
Niko war ein...
Ein alter Mann (Edgar Selge) findet einen toten Jungen im Bett und stammelt «Papa». Was kann das sein? Es wird einige Zeit dauern, bis sich das Rätsel aufklärt: Der alte Mann ist eigentlich eine junge Frau, die sich in diesen fragilen Körper begeben hat, der tote Junge eigentlich ein alter Mann, ihr Vater, der im fremden jungen Körper an einem Aneurysma gestorben...
So eine Erscheinung kommt dem Pfarrer nicht alle Tage unter. «Ich möchte mich als Heilige Maria bewerben», verkündet die Frau dem stillen Herrn am äußersten Bühnenrand. Pointierte Karriereplanung, keine Frage. Allerdings handelt es sich um eine Bewerbung von flatterhafter Qualität. Die Enddreißigerin stöckelt denkbar unkeusch herbei, ihr Heiligenschein leuchtet...