Hoch hinaus und tief hinab
Ein zentraler Satz in Thomas Manns alttestamentarischem Weltdeutungs-Roman «Joseph und seine Brüder» lautet: «Die Sphäre rollt.» Geschichte als das Geschichtete kann sich immerzu wenden. Wolfgang Engels konzentriert minimalistische Uraufführung der John-von-Düffel-Dramatisierung beginnt als Vorspiel auf dem Theater.
Wie Talmud-Gelehrte verhandeln die Darsteller die biblische Genealogie, setzen sich in Beziehung dazu, probieren Muster des «nach hinten offenen Ichs»: die poröse Identität der damaligen Menschen, in der der Einzelne sich in den Vorvätern spiegelt und aus ihnen Sinn und Form bezieht. Wechselspiel und Kleidertausch prägen die fünfstündige Inszenierung, in der sechs (hoch engagierte) Schauspieler für die Fülle des Personals, ob Mann oder Frau, Zwerg oder Götterbote, genügen. Engels eher diskursiver als dramatischer, episodisch aufgelöster Spannungsbogen gründet im Illusionsraum Theater. Gleichwohl ist er realer als Thomas Mann, der in seiner Tetralogie den «Mythos ins Humane umfunktionieren» wollte.
Im Düsseldorfer Schauspielhaus hat Olaf Altmann hinter dem Eisernen Vorhang einen holzverschalten Kasten mit vier Seitenrängen zur geschlossenen Welt verbaut. Im Zentrum das ...
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Der D 274 ist nicht irgendeiner, es ist der Steinway an sich und in etwa genau so eindrucksvoll, wie man sich eine abweisende Diva vorstellen muss. In Heidelberg, wo die aus Georgien stammende Nino Haratischwili ihr «Liv Stein» jetzt selbst zur Uraufführung gebracht hat, steht der Konzertflügel wie ein Kunstobjekt auf einem Sockel, ist allerdings mit einer dicken...