Hannover: Herrenbesuche
Im November 1970 nimmt Peter Brückner, Professor für Psychologie an der TH Hannover, eine Zufallsbekanntschaft mit nach Hause. Ob ihm klar ist, dass es sich hier um Ulrike Meinhof handelt, ist strittig, jedenfalls gerät Brückner ins Visier der Polizei, verliert zeitweilig wegen des Radikalenerlasses seine Anstellung und wird in der Folge von der Boulevardpresse als Terrorunterstützer verunglimpft. Es gibt in Brückner also ein reales Vorbild für Heinrich Bölls «Katharina Blum» von 1974, und dieses Vorbild hat auch einen Bezug zu Hannover.
Allerdings zeigt Regisseur Stefan Pucher den Stoff als technisch virtuosen Rundgang durch die Scheußlichkeiten der 1970er Jahre, und da verlieren Zeit- und Ortsbezug ihren zwingenden Charakter. Heißt: Stéphane Laimé hat die Drehbühne auf der einen Seite als massivholzvertäfelten Wohlstandsalptraum-Bungalow gestaltet, auf der anderen Seite als Polizeirevier, dessen Grau-in-Grau-Bilder bleierner Zeiten aufruft. Annabelle Witt hat dazu mit großem Stilbewusstsein Kostüme im Siebziger-Look geschneidert, Schlaghosen, ein bisschen zu bunte Sakkos, dazu Pilotenbrillen, super. Und weil diese klare Zeitverortung den Figuren wenig Raum zum Spiel lässt, darf ...
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Theater heute Mai 2020
Rubrik: Chronik, Seite 54
von Falk Schreiber
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