Dresden: Überschießender Idealismus
Peter Holtz verfügt über eine seltene (Un-)Fähigkeit. Und zwar eine, die besonders in diktatorischen Systemen von unschätzbarem Vorteil ist: Er zeigt sich komplett immun gegen die hohle Parteiprosa, mit der die Nomenklatura ihre fragwürdige Ordnung zu legitimieren pflegt. Diesem höchst außergewöhnlichen Kind der DDR fehlt nämlich schlicht das Gen zur Phrasenerkennung.
Peter nimmt alles wörtlich – und qualifiziert sich damit nicht nur für seine weniger realsozialismusbegeisterten Mitmenschen zur Nervensäge par excellence, sondern logisch-ironischerweise auch und gerade für die Systemträger. Ein Anwerbungsversuch der Staatssicherheit macht den «Jugendfreund» derart stolz, dass er sofort allen begeistert davon erzählt. Dekonspiration aus idealistischer Systemtreue: Da muss selbst das MfS passen.
Ingo Schulze hat mit seinem Romanhelden Peter Holtz, der dank Friederike Hellers Bühnenadaption fürs Kleine Haus des Staatsschauspiels Dresden jetzt auch auf dem Theater angekommen ist, also eine ostdeutsche Schweijk-Figur geschaffen und begleitet sie von ihrer DDR-Waisenhauskindheit der 1970er Jahre bis in die Wendezeit hinein. Dabei weist der sozialistische Gemeinschaftssinn, so Schulzes ...
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Theater heute Mai 2020
Rubrik: Chronik, Seite 51
von Christine Wahl
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