Den performativen Widerspruch leben

Für Milo Rau ist Verzicht das höchste Privileg

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Verzicht als Praxis setzt Besitz als Tatsache voraus. Falls es eine einzige Regel gibt, die grundsätzlich stimmt: Je mehr jemand besitzt, desto größer sein ökologischer Fußabdruck. Besitz an Wohneigentum heißt zum Beispiel, dass man ihn beheizen muss. Besitz an Netzwerken bedeutet, dass man sie pflegen muss – indem man reist, viel reist. Logisch betrachtet gibt es nur eine Lösung: den Besitz zu teilen, also zu verlieren.

Die Lehre, die deshalb das moderne Bürgertum aus dem Untergang des Ancien Régime gezogen hat – und aktuell das postmoderne Bürgertum aus dem heraufdämmernden Ende des fos -silen Kapitalismus: Besitze, kritisiere aber den Besitz! Bekämpfe weiterhin den Planeten, aber unter dem Doppeladler der Nachhaltigkeit und des Verzichts.

Als wir vor einigen Monaten gemeinsam mit der brasilianischen Landlosenbewegung die «Erklärung des 13. Mai gegen die ‹zertifizierte› und ‹nachhaltige› Zerstörung des Regenwalds» verfassten, sagte mir der indigene Philosoph Ailton Krenak einen denkwürdigen Satz: «Ich will kein Elektroauto, ich will gar kein Auto.» Biodiesel produziert, gemäß verschiedener Schätzungen, zwei- bis dreimal mehr CO2 als fossile Brennstoffe. Seit Soja und Palmöl im ...

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Theater heute Jahrbuch 2023
Rubrik: Verzicht, Seite 66
von Milo Rau

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