Ausgebeept: das N-Wort in Claudia Bauers «89/90» am Schauspiel Leipzig 2016 mit Anna Keil. Foto: Rolf Arnold

Das Drama der Identität

Über das Spiel mit dem Feuer der Identitätspolitiken und die grundlegende Einsicht in Hybridität und transkulturelle Theaterpraktiken

Theater heute - Logo

Der Abend beginnt als Spektakel, als barock anmutendes Theater, das Zirkus, Jahrmarkt, Variété, Maschinentheater und Popkonzert beerbt ­– und mit alledem natürlich auch die Performance Art; und dies, obwohl es sich zunächst einmal um eine Inszenierung handelt, die auf einem Text basiert.

«The Blind Poet», 2015 im Rahmen des Brüsseler Kunstenfestival des arts uraufgeführt und seither auf Tour durch Europa, wurde von dem flämischen Regisseur Jan Lauwers, dem Kopf der Needcompany, der zugleich der Verfasser vieler ihrer Szenarien, Reden und Szenografien ist, den Performern buchstäblich auf den Leib geschrieben: Ausgehend von ihren Biografien und Stammbäumen, entwarf er ihnen jeweils eine neue, fiktionale Geschichte, die im Rückgang auf die vergangenen 1000 Jahre die verschiedenen in seinem Ensemble vereinten Nationalitäten, Kulturen und Sprachen mischt und vernetzt.

Und da sind die Beschriebenen nun: sieben Darsteller, in seiden glänzende, ein wenig an japanische Kimonos erinnernde Mäntel gehüllt, die es sichtlich genießen, unterm Beifall der Zuschauer wie Preisboxer ihre Plätze im Orchestergraben einzunehmen. «Hello, I am Grace», stellt sich eine Frau vor, die sich in die Mitte der ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Oktober 2017
Rubrik: Identitätspolitik, Seite 44
von Nikolaus Müller-Schöll

Weitere Beiträge
Mainz: Unsterblich billig

«Jeder hier benutzt dich. Aber keiner mag dich!» Autsch, das hat gesessen. Der Mann im Latexanzug guckt traurig aus der Wäsche, die junge Frau in Jeans reckt triumphierend ihr Kinn. Es ist der Höhepunkt eines schier endlosen Beziehungsdramas: Lilith (Lilith Häßle) hat die Krise. Sie weiß nicht mehr, was sie von ihrem Nächsten halten soll, der sie wärmt, schützt und...

Das Eigengesetz der Vorstellungskraft

I. American Way

Am Rand meiner Heimatstadt Grand Rapids in Michigan (wo dieses Stück spielt, wie die meisten meiner Stücke) liegt die Firmenzentrale des multinationalen Direktvertriebkonzerns «Amway», eine Abkürzung für Ameri­can Way. Ein Sektenexperte beschreibt den Konzern so: «Amway verkauft ein Marketing- und Motivationssystem, Lebenssinn und Lebensstil mit der...

Entscheiden ist Macht

Wie ein Monsterfinger in ein Puppenhaus bohrt sich ein Abrisshammer in das Glasfoyer des Stadttheaters Mönchengladbach, Staubhöllen fallen von oben. 2012 wurde das 1959 gebaute Theater abgerissen, im sechsten und neuesten Teil ihrer 2010 begonnenen Dokumentarfilmreihe «state-theatre» fangen Daniel Kötter und Constanze Fischbeck kommentarlos die brutale, aber auch...