Carte Blanche fürs Gefallenwollen

Sophie Passmanns Buch-Zweitverwertung «Pick me Girls» in einem Solo-Abend am Berliner Ensemble

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Sie sind die gar nicht so heimlichen Publikumsmagneten: Solo-Inszenierungen für Schauspieler:innen, die die ganze Palette ihres Könnens auspacken, sich dafür aber auch in der ungeteilten Aufmerksamkeit des Publikums sonnen können.

Noch als Intendant am Schauspiel Frankfurt hat Oliver Reese als vielleicht erster in seiner Inszenierung «Die Blechtrommel» mit Nico Holonics die erstaunliche Sogkraft dieses speziellen Genres erkannt und am Berliner Ensemble fleißig nachgelegt: Kanonisches wie «Mein Name sei Gantenbein» mit Matthias Brandt, aber auch Projekte mit dokumentarischen Anteilen wie «It’s Britney, Bitch!» (Regie Lena Brasch) mit Sina Martens oder «#motherfuckinghood» mit Claude de Demo (Regie Jorinde Dröse) – unter Verwendung eines Textes von Sophie Passmann. Natürlich greift das Konzept auch an anderen Häusern, siehe die beiden Theatertreffeneinladungen 2024 mit Lina Beckmann und Dimitrij Schaad, die obendrein Schauspieler:innen des Jahres wurden.

Jetzt schaltet das Theater am Schiffbauerdamm noch einen Gang höher: Sophie Passmann, die bereits mit 30 eine eindrucksvolle Karriere als Autorin mehrerer Bücher, als Podcasterin, Moderatorin, Seriendarstellerin und vor allem als Influencerin mit knapp einer halben Million Followern vorgelegt hat, darf am BE selbst als Protagonistin ihres 2023 erschienen Bestsellers «Pick me Girls» auf der Bühne stehen. Natürlich in einem Solo! Vor bis zum Jahresende ausverkauftem Haus. Dass dabei Profis wie Regisseurin Christina Tscharyiski und Dramaturg Johannes Nölting minimalinvasive Schützenhilfe geleistet haben, könnte man glatt übersehen – während Janina Kuhlmann mit einem Spiegelfächer vor Glitzervorhang und einem asymmetrischen Schottenrock für Passmann durchaus für Blickfänger sorgt.

Als erstes wird die Kritik schachmatt gesetzt. Sophie Passmann kommt auf die Bühne und erklärt, dass sie «auch nicht alles gut findet, was Sophie Passmann macht». Dass sie eine «Champagnerfeministin» sei und ihre Show hier 600.000 Euro gekostet habe: «Aber haben die gesagt, ist kein Problem. Für Kultur ist Geld da.» Vor allem aber sagt sie, dass sie «gerne die Frau» wäre, «die ich geworden wäre, wenn ich nicht schon ganz früh gelernt hätte, dass es besser ist, so zu sein, wie es Männern gefällt». It’s the patri -archy, stupid!

Den Move, die Kritik an sich zum Thema zu machen, hat Sophie Passmann schon in ihrem Buch «Pick me Girls» angewandt. Als «Pick me Girls» gelten in den sozialen Medien nämlich Frauen, die für männliche Aufmerksamkeit («Pick me», «Nimm mich») alles tun, sogar Hobbys wie Bier trinken faken oder schlecht über Konkurrentinnen sprechen. Schon nicht dem gängigen Frauenbild zu entsprechen, kann als «Pick me»-Strategie gewertet werden. Nach einer problematischen Interview-Äußerung gegenüber PoC-Aktivistinnen hatte Passmann einen Shitstorm geerntet, in dem sie u.a. als «privilegierte, weiße Pick-me-Feministin» bezeichnet wurde, die doch nur Männern wie Joko und Klaas gefallen wolle. Und schon war die Idee für ein neues Buch geboren.

Darin und auf der Bühne arbeitet Passmann mit dem Motiv des Sich-Ehrlichmachens: Schon ihre Eltern seien penetrant darauf rumgeritten, dass sie ein dickes Baby war, erzählt sie. Oder: «Mit 20 war ich traurig, dass ich nicht öfter se -xuell belästigt wurde.» Oder sie zählt sämtliche Demütigungen auf, die sie sich von einem erfolgsneidischen Exfreund hat gefallen lassen. Durchaus mit Sinn für die traurige Komik dieser Situationen. Immer wieder kommt Passmann zu der Einsicht, dass das Patriachat sie geformt hat. Doch der Stress hört nicht auf: Jetzt mokieren sich einige ihrer weiblichen Fans darüber, dass sie zehn Kilo abgenommen hat und manchmal selbstbestimmt Botox spritzt – weil ihnen so ein Rolemodel abhanden kommt. Frau hat’s nicht leicht!

Es ist eine merkwürdige Zwickmühle des um sich selbst Kreisens, in die sich Sophie Passmann mit ihrem Versuch einer öffentlichen Selbstaufklärung begibt. Einerseits macht sie Geständnisse, die tatsächlich auf frauenfeindliche Strukturen hinweisen – andererseits regt sich immer wer darüber auf, dass Passmann darin hervorragend funktioniert. Gibt’s keine Carte Blanche fürs Gefallenwollen? Frei nach dem Motto, ich kann doch auch nichts dafür, dass mich das Patriarchat influenct hat? Das Solo erweist sich, selbst mit eingebauter und widerlegter Kritik, am Ende als Ego-Einbahnstraße. 


Theater heute Dezember 2024
Rubrik: Magazin, Seite 69
von Eva Behrendt

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