Bewegungen in Kopf und Darm
Der Weltreisende ist ungnädig mit den Künsten. Im Theater habe er sich stets gelangweilt, teilt er dem Mathematikgenie mit. Ganz richtig, ruft Gauß, und Humboldt mäkelt weiter. Jetzt über Romane, die sich in Lügenmärchen verlören, weil der Verfasser seine Flausen an die Namen geschichtlicher Personen binde.
Wir befinden uns auf Seite 221 und damit im letzten Drittel von Daniel Kehlmanns Roman «Die Vermessung der Welt», der größte deutsche Bestseller seit Jahrzehnten, 1.400.000-mal verkauft, übersetzt in 42 Sprachen.
Die fiktive Begegnung des pedantischen Abenteurers mit dem misanthropischen Erfinder der Normalverteilung ist eine Schule des Konjunktivs. Nicht ein Anführungszeichen bremst den dahinströmenden Fluss der Sätze in Kehlmanns klugem Lügenmärchen – im Buch jedenfalls, dass so seine Personen in (selbst-)ironischer Distanz unter die Lupe legt. Doch jetzt sind die großen Deutschen im Theater gelandet, ohne den nörgeligen Theatersatz und ungebremst im Indikativ. Denn dafür scheint das Theater manchem Romandramatisierer vor allem da zu sein: fürs Direkte, eine Abkürzung.
Schon Kehlmanns Roman ist ja so etwas wie ein Digest, der in gut verdauter und verdaulicher Form sehr lange ...
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