Ausgeleitete Aggressionen
Im Herbst 2005 hielt sein Orgien-Mysterien-Theater Einzug in Öster -reichs höchster Weihestätte für dramatische Kunst: im Burgtheater. Viele Stunden lang wurde – auf penibel abgedeckten Bühnen, Wegen und Sitzen – unter Aufsicht des Meisters prozessiert, Geschlachtetes aufgebahrt und an Kreuzen aufgerichtet, in Bottichen vol -ler Gedärme gewühlt und mit Blut geplantscht, wie in keiner noch so provokanten Inszenierung zuvor. Kam es bei dieser 122.
von insgesamt 158 Aktionen zur gemeinschaftlichen Katharsis von Publikum und Kunst, wurden gar kollektiv «Aggressionen ausgeleitet»? Schwer zu sagen, mit Sicherheit jedoch war der Wiener Aktionismus zu diesem Zeitpunkt längst zum hochkulturellen Event geworden, das vom bürgerlichen Publikum ungerührt weggeguckt werden konnte.
Hermann Nitsch, Jahrgang 1938, wuchs als Sohn einer Kriegswitwe in Wien auf und war diplomierter Gebrauchsgrafiker, als er Ende der fünfziger Jahre seine ersten «Lammzerreißungen» in der Wohnung von Otto Mühl durchführte – jenes Künstlerkollegen, der später wegen Kindesmissbrauchs in seiner Kommune zu vielen Jahren Haft verurteilt wurde. Doch in den sechziger Jahren machten die Aktionisten und damit auch Nitsch ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute 6 2022
Rubrik: Magazin, Seite 71
von Eva Behrendt
Ich entschuldige mich aufrichtig bei jeder, die sich verletzt fühlt, bei jedem, der sich wegen mir schlecht gefühlt hat. Ich wünsche ihnen die Anarchie der Liebe und der Schönheit» – diese handschriftlichen Zeilen hatte der belgische Künstler und Choreograf Jan Fabre während des Prozesses gegen ihn wegen sexueller Belästigung seinen Anwält:innen zur Übermittlung an...
Wenn Wallenstein zum erstem Mal erscheint, scheppert es gewaltig. Weniger wegen des imposant schimmernden Brustharnischs überm Kettenhemd als wegen der Blechhandschuhe, mit denen er so ungeschickt wie notgeil die aus Wien heimkehrende Gemahlin befingert, die sich das, nicht weniger unter Druck, gern gefallen lässt. Nichtsdestotrotz wird atemlos Dialog gefeuert,...
Es gibt viele Dinge, die sich drehen: Ein Hamsterrad, die Zeiger einer Uhr – und das Bühnenbild von «Birthday Candles», das dreht sich auch. Szenograf Jo Schramm hat dazu einen Guckkasten samt Küche entworfen, die im Verlauf des Abends ziemlich oft Kopf steht. Und diese gekippte Küche ist es auch, die als Gradmesser für die Stimmung der amerikanischen...