Armut für alle

Bonn: Gerhart Hauptmann «Die Ratten»

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Die Bässe gehen in die Eingeweide. Minutenlang wird das gepflegte Abonnenten-Publikum in den Bad Godesberger Kammerspielen von härtestem Techno bedröhnt. Ihr Urheber, der Berliner Rapper Volkan T., spielt als Hausmeister Quaquaro mit: ein muskelgepumptes, volltätowiertes deutsch-türkisches Gesamtkunstwerk in Silber-Ganzkörperanzug mit sonnengelbem Höschen und Glatzenstirnband, das sich auch mal über strukturellen Rassismus beschwert.

Lukas Langhoff hat das intellektuell unterwanderte Prekariats-Personal aus Gerhart Hauptmanns «Ratten» vor dem Eisernen Vorhang aufgestellt, weiße Pfeile bezeichnen die Figuren mit Namen. Damit hier keiner durchein­ander kommt, wenn alle den gleichen Satz sprechen, der eigentlich zum schwangeren polnischen Dienstmädchen Paulina Piperkarcka gehört, die bei Anastasis Gubareva eher auf Russenschlampe macht: «Ich spring’ in Landwehrkanal und ersaufe.»

Lebensperspektive hat hier keiner mehr im sozialen Wohnungsbau der Gegenwart, Unterschiede werden ab der Armutsgrenze nicht mehr gemacht. Auch die Bühne ist nicht in zwei Ebenen aufgeteilt, wie sonst meist bei «Ratten»-Inszenierungen; das dürre Stahlgerüst ist für alle da. Das artifizielle Berlinerisch der ...

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Theater heute Juni 2013
Rubrik: Chronik, Seite 55
von Dorothea Marcus

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