Ändert es!
«Ich mache keinen Krieg mehr. Es ist gut, dass ich hierhergekommen bin, zu einer Stelle der Welt, wo ich nachdenken konnte, drei Minuten lang. Jetzt können wir weggehn.» Länger braucht Bertolt Brechts Erster-Weltkriegssoldat Fatzer nicht, um sich gegen das Töten, fürs Desertieren zu entscheiden. Wesentlich länger dauerte es auf der Bühne der Mülheimer Stadthalle auch nicht, bis er und seine drei Kameraden im weißgrauen, zotteligen Flecktarn-Pelz von der Westfront in ihr Mülheimer Versteck gestapft sind. Dort beginnt der zweite Stellungskrieg: der um die «richtige» Moral.
Regisseur Philipp Preuss setzt in seiner Inszenierung «Fragment», die den Auftakt zu einem «Fatzer»-Theaterparcours bildet, stark auf bühnenfüllende Livevideos (Konny Keller): Aus der Trommel einer Waschmaschine heraus gefilmt entwickeln sich hypnotisierende Licht-Wirbel, interpretierbar als Teufelskreis; in der Vogelperspektive werden die Deserteure in ihrem Streit um Lust- versus Realitätsprinzip zu eiskristallartigen Schwarz-weiß-Chiffren; Negativ-Porträts lassen sie als Tote auf Abruf erscheinen. Rupert J. Seidl geleitet als müder philosophischer Kommentator mit XXL-Puschelmikrofon durch den ersten Teil des ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute 1 2023
Rubrik: Chronik, Seite 61
von Cornelia Fiedler
Zwischen zwei moralisch anfechtbaren Positionen zu wählen, ist nicht einfach, zwischen zwei untadeligen manchmal noch schwieriger. Kunstfreiheit und der Kampf gegen Antisemitismus sind zwei zentrale Prinzipien ganz oben auf der Werteskala der freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung. Umso fataler, wenn sich beide in letzter Zeit immer wieder miteinander...
Racines «Phaedra» spielt man am liebsten auf Eis (wie Martin Kušej 2017 in München) oder zumindest auf weißem Sand (Johannes Schütz in Köln 2011): kunstvoll kristallisierte frostige Sprache gegen heiße Gefühle. Aber Ersan Mondtag erhitzt die Tragödie, bis sie in Sprechblasen zerplatzt. Aus zu viel Ernst wird zu viel Spaß.
Ersan Mondtags Bühne ist eine vergrößerte,...
Vielleicht wäre der Sache gedient, wenn die Menschen ganz einfach Bäume würden? In diese Richtung jedenfalls geht der Wunsch von Pinoc -chio, wenn die blaue Fee ihm einen freihält, und auch Meister Gepetto scheint sich ganz wohl -zufühlen als Pinie, in die er sich nach seinem menschlichen Ableben (in Abweichung zum Vorbild von Carlo Collodi) verwandelt hat. «Sieht...