Vom Ende her
Am 14. und 22. April, 7. Mai in Karlsruhe
Ein starker Start, in jeder Beziehung. Das Badische Staatstheater in Karlsruhe stemmt den vierten «Ring des Nibelungen», seit es 1975 sein neues Haus bezog. Alle zehn Jahre soll ein neuer Anlauf sein. Das Unternehmen lässt sich diesmal mutig an. Wie damals bei Klaus Zehelein in Stuttgart sind’s vier (nun freilich jüngere) Regisseure, die sich ans Werk machen. Zwischendurch gibt’s noch die Uraufführung von Avner Dormans «Wahnfried»-Oper – Chefsache auch sie. Und der Generalmusikdirektor ist denn auch eine Art «Ring»-Klammer.
Im «Rheingold» sind Justin Brown und die Badische Staatskapelle mit viel Sinn fürs Kleine im Großen bei der Sache. Außerordentlich geschliffen, was da aus dem beinahe unhörbaren Es des Anfangs und dem fast bildhaft eingefangenen Fluss von Wagners Wassermusik hervorwächst, klar in der vertikalen Schichtung, schneidend im vehementen Final-Bombast und mit bemerkenswerten Subtilitäten, wo es dem Plauderton der gesungenen Boulevard-Komödie gilt. Ton und Wort sind eng verbunden. Höchstens das Wunderwerk der Leitmotivik wird vielleicht allzu zeigefingerhaft herauspräpariert.
Seinen Sinn hat allerdings auch das. Der akustischen Motivpräsentation steht nämlich – sah man’s je? – eine optische zur Seite: Der Regisseur David Hermann initiierte eine stumme Parallelaktion, die den Blick voraus visualisiert, auf die hier in die Wege geleitete «Ring»-Katastrophe. Und dieser Zug wiederum ergibt eine mitunter hoch amüsante Dialektik. Während Fricka der beabsichtigten Wirkung der «herrlichen Wohnung» und des «wonnigen Hausrats» nachhängt, fällt Siegmund gleichsam vom Dach und ist alsbald samt Schwester Sieglinde ausgiebig mit der Zeugung von Wotans Wunschheld Siegfried beschäftigt. Später bekommen wir dann mit, wie der Wanderer Wotan das Baby aus den Armen der toten Mutter nimmt, und auch, wie der Jüngling den Drachen erledigt und mit dem Waldvöglein einherspaziert.
Hellsichtiger muten gleichwohl die Parallelen dieses Doppelspiels an. Wenn Wotan Alberich den Ring vom Finger zieht, erlebt man zugleich, wie Siegfried dasselbe in Gunthers Gestalt bei Brünnhilde tut. Und klar, als Wotan und die Seinen ihren finalen Gang in die bereits fluchbeladene neue Burg antreten, lodert schon das «Götterdämmerungs»-Feuer. Von der brunnenwassertropfenden Insel der Seligen in der Rheintöchter-Szene bis zum Designer-Chic bei Wotan daheim: Der Eindruck von Jo Schramms Drehbühne ist vorteilhaft.
Gerade das Boulevard-Potenzial nutzt die Regie besonders gelöst, ob Fricka nun zu wissen begehrt, ob das «gleißend Geschmeid» auch Frauen zur Zier gereicht (Roswitha Christina Müller singt das wunderbar hintersinnig, und das Orchester aalt sich darunter) oder Freia keineswegs den Eindruck erweckt, die Gesellschaft des Riesen Fasolt sei die pure Fron gewesen. Kurz, Hermann macht den «Vorabend» zum «Ring» gewandt erzählend zur Hauptsache. Und spätestens, als Wotan abseits des bereits erschlafften Götterkollegiums zu seinem in der Bücherwand deponierten kraftschenkenden Reserveapfel greift, dämmert uns, dass Renatus Meszars solider Bassbariton eher unauffällig funktioniert und schon genau zu wissen scheint, dass sein Weltenplan zuschanden gehen wird. Erstaunliche Qualitäten um ihn herum, zumal bei Matthias Wohlbrechts charaktertenoral verschlagenem Loge, bei Jaco Venters kernigem Alberich und bei Klaus Schneiders wohltuend unquengeligem Mime.
Wagner: Das Rheingold
Premiere am 9. Juli 2016
Musikalische Leitung: Justin Brown
Inszenierung: David Hermann
Bühne: Jo Schramm
Kostüme: Bettina Walter
Licht: Stefan Woinke, Jo Schramm
Solisten: Renatus Meszar (Wotan), Seung-Gi Jung (Donner), James Edgar Knight (Froh), Matthias Wohlbrecht (Loge), Jaco Venter (Alberich), Klaus Schneider (Mime), Yang Xu (Fasolt), Avtandil Kaspeli (Fafner), Roswitha Christina Müller (Fricka), Agnieszka Tomaszewska (Freia), Ariana Lucas (Erda), Uliana Alexyuk (Woglinde), Stefanie Schaefer (Wellgunde), Katharine Tier (Floßhilde) u. a.
www.staatstheater.karlsruhe.de

Opernwelt September/Oktober 2016
Rubrik: Panorama, Seite 55
von Heinz W. Koch
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