Verlorene Seelen im Setzkasten
Ein Mann begegnet eines Tages jemandem, der genauso aussieht, wie er selbst – seinem Doppelgänger. Von Stund’ an wird der Titularrat Goljadkin im zaristischen Russland zum Objekt einer Bewusstseinsspaltung, die ihn schließlich in den Wahnsinn treibt. Soweit die Geschichte in Fjodor Dostojewskis Roman «Dvojnik» («Der Doppelgänger») von 1846. Eine Dystopie, schon deshalb waren die Reaktionen bei Dostojewskis Zeitgenossen kühl. Dabei ist es letztlich gar nicht so entscheidend, ob es um voranschreitende Schizophrenie geht.
Oder um die Fallstudie eines von der Gesellschaft in die Isolation getriebenen Menschen. Um Entfremdung.
Letztere dürfte die Entstehungsgeschichte der gleichnamigen, von den Schwetzinger SWR-Festspielen und dem Theater Luzern koproduzierten Oper in der Corona-Zeit tangiert haben. Die Komponistin Lucia Ronchetti und die Schriftstellerin Katja Petrowskaja (die mit dem «Doppelgänger»-Text ihr erstes Opernlibretto präsentiert) berichten, wie die Isolation in der Zeit der Lockdowns ihre Zusammenarbeit aus der räumlichen Distanz geprägt hat. Und tatsächlich ist die Sprache der ehemaligen Bachmann-Preisträgerin eine für sie eher untypische. Ganz im Unterschied auch zu ...
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Opernwelt Juni 2024
Rubrik: Panorama, Seite 42
von Alexander Dick
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