Tagebuch einer Meerjungfrau
An Rusalka scheiden sich die Geister. Weniger jedoch am Bühnenwerk gleichen Namens, sondern vor allem an dessen Titelheldin selbst, der schüchtern-schönen Schwester Undines und Melusines.
Was bitte soll man machen mit einer Nymphe, die man sich heutzutage nur mühsam auf schweren Schwanzflossen über eine Bühne gleitend vorstellen kann? Welches «Bild» wäre wohl passender, um sie in unsere unmythisch wie unmystische Zeit zu übertragen? Und was ist das überhaupt für ein Wesen, das aus der Natur heraus in diese durchsäkularisierte Welt geschleudert wird? Welche Identität gibt man ihm?
Nicht wenige Inszenierungen der jüngeren Vergangenheit haben versucht, Rusalka (was zunächst einmal statthaft ist) als eine junge Frau zu zeigen, die im Hier und Jetzt lebt. Nicht als Meerjungfrau, sondern als Mensch. So manches Mal aber verrutschte die Deutung, wie zuletzt an der Berliner Staatsoper, wo Rusalka plötzlich, im klaren Widerspruch zum Text, zu einer Sexarbeiterin herabgewürdigt wurde und der anscheinend unmusikalische Regisseur sie damit nicht nur ihres Zaubers, sondern auch ihrer Unschuld beraubte.
Was bei all diesen (Fehl-)Deutungen zu kurz kam, war die Musik dieses «Lyrischen Märchens», ...
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Opernwelt Juni 2024
Rubrik: Magazin, Seite 74
von Jan Verheyen
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