Sehnsuchtsbilderbogen
Er atmet schwer, der alte Mann. Einen weißen Leinenanzug hat er angelegt. Als werde es bald Frühling oder Sommer in seinem leeren Lebensabendbunker. Schlurft hierhin, dorthin, hält inne, horcht und blinzelt, ob sich was regt im Halbdunkel zwischen den anthrazitgrauen Wänden. Aber es bleibt still. Kein Laut, nirgends. Nicht mal der schüttere Herbstlaubregen, der aus dem Schnürboden rieselt, macht ein Geräusch. Doch dann, plötzlich, leuchtet eine Kammer auf, hinten, wo eben noch nur Beton war. Ein junger Fuchs schaut heraus, ein wenig scheu, aber quicklebendig. Der Alte glaubt es kaum.
Ein Traum?
Frank Hilbrichs Dresdner «Füchslein» ist tatsächlich ein Traum. Kopfkino voller Melancholie. Der Sehnsuchtsbilderbogen eines Menschen, der sein nahes Ende fühlt. Wehmutsszenen der Erinnerung an frischere Tage, als das Wünschen noch geholfen hat. Als er sich noch gespürt hat, der altersweiße Mann, Janáceks Förster. Das stumme Vorspiel weist den Weg – nicht in ein märchenhaftes «Waldidyll» mit putzigen Felltieren und Federvieh, sondern ins schwache Herz dieses Kauzes, der – ein letztes Mal? – die Geister seiner Vergangenheit herbeifantasiert. Vor allem die junge Frau mit der flammenden Mähne, ...
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Opernwelt Dezember 2014
Rubrik: Panorama, Seite 41
von Albrecht Thiemann
Achtlos vorbeigehen, das ist nicht so einfach. Vor allem wenn wahlweise ein bauschender Fuchspelzmantel den Körper umhüllt oder eine Seidentoga mehr andeutet als verdeckt. In diesen Premierentagen und -wochen ist Nadja Michael die Domina von Münchens Maximilianstraße. Großformatige Fotos am Nationaltheater machen’s möglich. Emilia Marty, 337-jährige Untote aus Leos...
Island ist, geologisch betrachtet, ein Küken auf unserem Planeten. Auch als Republik hat es eine junge (bis 1944 zurückreichende) Geschichte. Die Entwicklung der letzten Jahre stellt trotzdem alles an Tempo in den Schatten. Manche Einwohner des kleinen Landes haben das Gefühl, überrollt zu sein von den Ereignissen. Da ist natürlich die Finanzkrise von 2008, deren...
Den jungen Cembalisten aus Buffalo traf es wie ein Donnerschlag, als ein Freund ihm 1966 eine Aufnahme von Rameaus «Hippolyte et Aricie» vorspielte. Mit dem English Chamber Orchestra unter Anthony Lewis, Janet Baker sang Phèdre. Für William Christie war das eine Art Erweckungserlebnis oder wenigstens ein Wegweiser. Wenige Jahre später (es sah so aus, als könnte er...