Schockgefroren
Der Alptraum hat nichts Exotisches. Er nistet mitten unter uns. Im ganz normalen Wahnsinn des kleinbürgerlichen Alltags. Auf der Bühne: Leute von heute in lässigen Klamotten. Steril, aseptisch, schreiend kalt mutet die Behausung dieser geschlossenen Gesellschaft an – ein weiß gleißender Kubus. Ein paar Umzugskisten, billiges Polstermobiliar, zwei diagonal angeordnete Tische. Dazwischen ein riesiger Bilderrahmen, so leer wie der schockgefrorene Blick der überlebensgroßen nackten Barbiepuppe, die hinten auf der Bühne liegt, Schenkel und Scham schwarz beschmiert.
Über allem hängt ein grüner Magritte-Apfel. Ein schwebendes Ambiente zwischen Realismus, Surrealismus und Psycho-Symbolik.
Nicht nur Freud gehört in Franz Schrekers 1918 uraufgeführter Oper «Die Gezeichneten» zum geistigen Inventar. Auch Schopenhauers philosophischer Pessimismus, seine Abrechnung mit dem Fortschrittsdenken schwingen im Hintergrund mit. Wildes, skeptisches Denken, das Nietzsche und Wagner begierig aufgreifen sollten. Die Vorstellung, dass «jedes Tier die Beute und Nahrung eines andern wird», dass Instinkt und Trieb stets mächtiger sind als alle Vernunft – derlei ist keine Erfindung des komponierenden ...
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Als «Simon Boccanegra» 1857 zur Uraufführung kam, war Verdi seiner Zeit zu weit voraus, um beim Publikum und bei den Impresari punkten zu können. Das Fiasko in Venedig wollte er nicht auf sich sitzen lassen, und so arbeitete er das Werk – unter Verwendung zahlreicher dramaturgischer Eingriffe von Arrigo Boito – zu einer Art italienischem «Boris» um. Diese Version...
Das Ende bleibt offen. Kein Trauerflor in Moll, kein Silberstreif, keine Erlösungsharmonie. Wie ein Fragment, wie eine Frage verweht der letzte B-Dur-Akkord. Eine Quinte und Quart, übereinander geschichtet, in der Tiefe; ein dreigestrichenes D und ein zweigestrichenes F dominieren die Höhe. Der Grundton, ins Abseits gedrängt. Als ob man diesem Akkord nicht trauen...
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