Präzise Turbulenzen

Alessandro De Marchi dirigiert ein brillantes junges ­Ensemble bei «Così fan tutte» in Brüssel

Keine Frau, spottet Despina, sei bisher an Liebeskummer gestorben. Ob sie wirklich glaube, erwidert darauf Dorabella, dass einen anderen lieben könne, wer einen Gug­lielmo oder Ferrando hatte. Die Fehlleis­tung, dass sie erst den Liebhaber ihrer Schwester nennt – ist komponiert. Die in der musikalischen Phrase nach «Gug­lielmo» stehende Pause übersetzt Vincent Boussard in seiner Brüsseler Inszenierung von «Così fan tutte» in einen erstaunten Blick Fiordiligis, auf den Do­ra­bella hastig-verlegen «und einen Ferrando» hinzufügt.

Es ist eine kaum merk­liche Andeutung, dass in Dorabellas erotischen Fantasien ein anderer Liebhaber durchaus eine konkrete Gestalt hat.
Dass aber die Leidenschaft Fiordiligis viel stärker brennt als die ihrer Schwes­ter, offenbart sich, wenn Dorabella sich  für den «brunettino» entscheidet und die verbal noch felsenfeste Fiordiligi selig zu tanzen beginnt: Ihr Herz hat die Entscheidung, gegen die sich der Kopf noch sperrt, längst getroffen.
Die Brüsseler Aufführung von Mozarts bitterer Komödie der Entfremdung ist mit solchen aus der Sprache der Musik abgeleiteten Gesten und Andeutungen getrüffelt; zugleich wird die Aktion als turbulente, oft akrobatische ...

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Opernwelt März 2006
Rubrik: Thema, Seite 36
von Jürgen Kesting

Vergriffen
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