Nach dem Sturm
Wenn die Dinge, das Denken und das Fühlen nur noch unterwegs sind, wenn sie keinen Halt mehr kennen, der die Bewegung unterbrechen, ihr Maß, Rhythmus und Sinn verleiht, wächst die Sehnsucht nach dem, was Ernst Bloch mit dem Wort «Heimat» meinte – die Utopie des mit sich und der Welt versöhnten Menschen. Je reißender, unüberschaubarer der Strom des beschleunigten Lebens, desto stärker das Verlangen nach festem Boden. Wer ohnmächtig und ziellos treibt, fragt irgendwann nach dem Woher und Wohin.
Als Willy Decker 2009 die Leitung der Ruhrtriennale übernahm, war es eben diese Frage nach dem metaphysischen Ort und Zustand der modernen Lebenswelt, die im Zentrum seiner künstlerischen Recherchen stehen sollte. Die Suche nach «Urmomenten» der menschlichen Existenz, nach der inneren Energie von Kräften, die wir mit vernutzten, erschöpften Begriffen wie «Religion», «Liebe» oder «Kunst» bezeichnen; die Besinnung auf das Immaterielle, Zweckfreie, Transzendierende von Musik, Poesie, Tanz und Theater – kein Areal schien für dieses Projekt besser geeignet als die gigantische Leere der verlassenen Industriebauten (und -brachen) des Reviers zwischen Duisburg und Dortmund. Wo, wenn nicht hier, sollte ...
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Opernwelt November 2010
Rubrik: Im Focus, Seite 24
von Albrecht Thiemann, Frieder Reininghaus
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Am Ende durfte er sie doch noch in die Arme schließen. Drei Akte lang hatte Angela Gheorghiu auf der Konzertbühne der Deutschen Oper als Cileas Adriana Lecouvreur die unnahbare Diva gegeben. In stahlgrau schimmernder Robe, mit manierierter Gestik und extrovertierter Stimme. Die dunklen Töne der Verzweiflung, das Höhenfeuer der Eifersucht, das zum Ausdrucksmittel...